Wein in Südtirol, das Standardwerk
40 Autorinnen und Autoren haben gemeinsam ein Buch über das Weinland Südtirol geschrieben. Das Konsortium Südtirol Wein ist der Herausgeber des rund 500 Seiten starken Standardwerkes, das zum Nachlesen und Schmökern einlädt. Kürzlich wurde es im Schloss Maretsch der Öffentlichkeit vorgestellt.
Mit fünf großen Kapiteln und Beiträgen von insgesamt 40 Autorinnen und Autoren, die gemeinsam alles Wissen über den Südtiroler Wein, seine Geschichte, Gegenwart und Aussichten niedergeschrieben haben, ist das Buch „Wein in Südtirol“ das Nachschlagewerk für alle Interessierten und Weinliebhaber. Andreas Kofler, Präsident des Konsortiums Südtirol Wein, das Herausgeber des Werkes ist, stellte das Buch vor Kurzem in Schloss Maretsch in Bozen der Öffentlichkeit vor. Im Folgenden wird ein Ausschnitt aus dem Text „Krisen, Kriege und ein Paradigmenwechsel – Die Weinwirtschaft von 1900 bis heute“ veröffentlicht, geschrieben von Eduard Bernhard, Direktor des Konsortiums Südtirol Wein:
„Die Südtiroler Weinwirtschaft erlebt in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts so ziemlich alles: einen frühen Aufschwung, ein Reblaus-bedingtes Umdenken, aber auch Kriege und Krisen. In all dem kennt man damals nur ein Ziel: mehr produzieren. Gerade dieses Denken stürzt die Weinwirtschaft in den 1980ern aber in eine tiefe Krise, aus der nur ein Weg führt: ein Paradigmenwechsel und die konsequente Konzentration auf Qualität. Betrachtet man die Entwicklung der Südtiroler Weinwirtschaft im 20. Jahrhundert und danach, kann man drei Epochen unterscheiden. Da sind zum Ersten die Jahre bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs, in denen die Reblaus die Südtiroler Winzer in Bedrängnis bringt, sie aber in vielerlei Hinsicht auch zu einem Umdenken zwingt. Was folgt, sind zum Zweiten die Jahrzehnte bis herauf in die 1980er-Jahre, die – trotz aller politischen und gesellschaftlichen Umbrüche im Land (und nicht nur) – von einem Weiter-so geprägt scheinen. Und von einem Ziel: mehr, mehr und immer mehr. Die Zäsur folgt erst mit der Krise, in die die Weinwirtschaft mit dieser Politik der Masse in den 1980er-Jahren schlittert. Während die über Jahrzehnte ausgetretenen Pfade immer weiter in diese Krise hineinführen, wechseln ein paar mutige Pioniere auf neue Wege.
Und diese bieten tatsächlich das, was man sich von ihnen erhofft: einen Ausweg. Mehr noch: Es sind diese neuen Wege, vor allem das Streben nach Qualität, das die Südtiroler Weinwirtschaft Schritt für Schritt nicht nur aus der Krise heraus-, sondern in die Welt-
spitze hineingeführt haben. Schlechter Start ins neue Jahrhundert. Doch beginnen wir, wie es sich für einen Rückblick gehört, am Anfang – und der ist alles andere als rosig. Während nämlich das 19. Jahrhundert mit einem stetigen Wachstum des Weinbaus in Südtirol ausklingt, beginnt das 20. mit einem Paukenschlag. 1901 wird in einem Weinberg in Meran ein Reblausbefall gemeldet. Es ist dies für Südtirols Weinbauern eine zwar niederschmetternde Nachricht, es ist aber auch eine, die man seit Jahren erwartet. Und eine, auf die man sich gut vorbereitet hat. So funktioniert in diesen Jahren bereits ein engmaschiges Überwachungsnetz und auch amerikanische und damit Reblaus-resistente Unterlagen sind schon da. Selbst die Behörden der Doppelmonarchie sind gewappnet und gewähren großzügige Hilfen. Sollte ein Weinbauer mindestens ein Viertel seines Ertrags wegen eines Reblausbefalls einbüßen, konnte er mit einer vollständigen Abschreibung der Grundsteuer rechnen. Sogar zehn Jahre lang wurde diese Steuer erlassen, sollte der Weinbauer den befallenen und gerodeten Weinberg neu errichten – selbstverständlich auf resistenten Unterlagen. Und falls dies alles nicht reichen sollte, um den Winzer aus dem finanziellen Schlamassel zu ziehen, wurde ein auf 20 Jahre angelegtes Darlehen gewährt: zinsfrei, versteht sich.
Reblaus-bedingte Erneuerung
Während die Reblaus also andere Weinregionen in Existenznöte bringt, ist Südtirol auf den Schädling gut vorbereitet. Dazu kommt, dass der Befall sich nicht explosionsartig verbreitet, sondern nur langsam und wie ein Flickenteppich. So hält sich das System der Südtiroler Weinwirtschaft auf den Beinen und kann sich sogar bis zu einem gewissen Grad erneuern.
Das gilt vor allem für zwei Bereiche:
die Sortenauswahl und den Anbau. Letzterer war im 19. Jahrhundert noch von Mischkulturen geprägt, neben, unter und zwischen den Reben wurden also noch andere Kulturpflanzen gezogen. Diese bunten, uneinheitlichen, oft genug chaotischen Kulturflächen verschwinden im Zuge der Reblaus-bedingten Neuordnung nach und nach, der reine Rebsatz tritt an ihre Stelle. Damit geht auch eine Spezialisierung der Bauern einher, die nun nicht mehr ein bisschen Wein-, ein bisschen Alles-Bauern sind, sondern sich meist allein auf den Traubenanbau konzentrieren. Zugleich wächst durch diese Entwicklung auch die Rebfläche in Südtirol, und zwar stetig. In den mehr als 40 Jahren von 1870 bis 1913 nimmt die Weinbaufläche im Land um fast 50 Prozent auf 10.500 Hektar zu, die produzierte Weinmenge steigt auf 340.000 Hektoliter jährlich.
Der zweite Bereich, der Reblaus-bedingt eine Neuordnung durchläuft, ist die Sortenauswahl. So wird Anfang des 20. Jahrhunderts der Großvernatsch zu Südtirols Leitweinsorte. Er verdrängt zunehmend die alten, für Südtirol über Jahrhunderte prägenden Lokalsorten. Schon lange vor der Reblauskrise wurde dagegen eine dritte Neuerung eingeleitet, die Südtirols Weinwirtschaft für die nächsten Jahrzehnte (und bis heute) grundlegend prägen würde. So werden in den 1890er-Jahren die ersten genossenschaftlich organisierten Kellereien gegründet, mit denen sich die Bauern ein gewisses Maß an Unabhängigkeit erkämpfen, Unabhängigkeit vor allem von den großen Handelskellereien, von denen die Südtiroler Weinbauern lange Jahre abhängen. Während man in Andrian, Terlan und Neumarkt vorangeht, ziehen bis 1914, bis zu den verhängnisvollen Schüssen in Sarajevo also, 13 weitere Gemeinden nach. Auch dort entstehen Kellereigenossenschaften, die bis zum Ersten Weltkrieg die Verarbeitung von fast einem Fünftel der Traubenproduktion in Südtirol übernehmen…“