Unter anderem will die Verordnung den Flüssen ihren natürlichen Lauf wiedergeben.

„Nicht ohne die Landwirtschaft“

Mit gleich mehreren heftig diskutierten Themen hat sich der Landesbauernrat in seiner jüngsten Sitzung befasst. Unter anderem ging es um die EU-Verordnung über die Wiederherstellung der Natur. Der Südtiroler Bauernbund hat dazu klar Position bezogen.

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SBB Politik

Das auch als „Renaturierungsverordnung“ bekannte Vorhaben fand nach langer Diskussion zuerst im Februar dieses Jahres eine hauchdünne Mehrheit im EU-Parlament und wurde dann im Juni auch von den Umweltministerinnen und -ministern der Europäischen Union verabschiedet. Da es sich um eine Verordnung handelt, gilt sie direkt und unmittelbar in allen Mitgliedstaaten und ist seit 18. August in Kraft. 
Kurz zusammengefasst sieht die Verordnung vor, dass die Mitgliedstaaten bis 2030 mindestens 20 Prozent der Land- und genauso viel der Meeresfläche versetzen, bis 2050 sollen alle sanierungsbedürftigen Ökosysteme wiederhergestellt sein. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, in den Bereichen Klimaschutz, Ernährungssicherheit, Biologische Vielfalt und Risiko für Naturkatastrophen geeignete Maßnahmen zu erlassen und dann auch regelmäßig über deren Umsetzung zu berichten. Zudem müssen die Staaten einen Wiederherstellungsplan erstellen, ein Ent‑
wurf desselben muss bis September 2026 vorliegen. 

Zu Umsetzung noch viele Fragen offen
Bauernbund-Direktor Siegfried Rinner stellte die Verordnung bei der Sitzung des Landesbauernrates vor und äußerte starke Bedenken bezüglich ihrer Umsetzung: „Schon allein, dass die Staaten den Entwurf zum Wiederherstellungsplan bis 2026 hinbekommen, ist sehr unrealistisch, weil die EU ihrerseits noch unzählige Parameter festlegen muss, anhand derer die Staaten dann festlegen, was überhaupt wiederherzustellen ist.“ Auch zur Umsetzung gebe es noch viele offene Fragen: Auf welcher Grundlage sollen die Messungen des aktuellen Zustandes erfolgen? Auf welcher Ebene – Staat, Region, Provinzen – sollen die Erhebungen erfolgen? Wer sind die jeweiligen Ansprechpartner? Wie sieht die Ziellandschaft aus? Und nicht zuletzt: Wer soll das alles finanzieren? „Die Umsetzung der Verordnung wird sich also im besten Fall um einiges verzögern. Angesichts dessen ist es durchaus bedenklich, dass die Verordnung in einigen Punkten bereits herangezogen wird, um Entscheidungen zu Projekten zu begründen, obwohl sie noch nicht unmittelbar anwendbar ist“, betonte Rinner. 
Bauernbund-Landesobmann Daniel Gasser kritisierte, dass die Verordnung wieder einmal Unmengen an Bürokratie mit sich bringe und die Notwendigkeit der Lebensmittel­produktion für die Ernährungssicherung ­außer Acht lasse. Der EU-Parlamentarier Herbert Dorfmann hatte die Verordnung nach deren Verabschiedung kritisiert: Es sei an der Zeit, dass Südtirol die Voraussetzungen schaffe, um autonom den Landschaftsschutz zu regeln. Vorgaben aus Brüssel oder Rom bringen laut Dorfmann unnötige bürokratische Auflagen für das Land und die Gemeinden.

Positionspapier genehmigt
Der Landesbauernrat genehmigte ein Positionspapier, in dem seine wichtigsten Standpunkte zur Renaturierungsverordnung zusammengefasst sind. So müsste eine Ein­bindung der Grundeigentümer und der ­Bauernverbände auf jeden Fall gewährleistet sein, die Planung und Umsetzung der Verordnung könne nur gemeinsam und in enger Abstimmung mit den Grundeigentümern erfolgen. Der Schutz des Eigentums muss Priorität haben. Außerdem fordert der Bauernbund die Einbindung der ­Fachexperten der land- und forstwirtschaftlichen Interessen­vertretung. Die Planung der Maßnahmen müsse auf einer soliden rechtlichen Basis erfolgen, die regionale Umsetzung müsse auf Grundlage der Verhältnisse und des Zustandes vor Ort erfolgen, wobei auch die sozioökonomischen Bedürfnisse der Bevölkerung vor Ort zu berücksichtigen sind. 
Wert legt der Bauernbund auch auf eine praxistaugliche Umsetzung. Die zu treffenden Maßnahmen dürfen nur freiwillig und praktisch umsetzbar sein, öffentliche Flächen und land- und forstwirtschaftlich nicht mehr genutzte Flächen müssen laut Positionspapier des Bauernbundes prioritär herangezogen werden. Die Umsetzung solle die multifunk­tionale Landwirtschaft unterstützen und einen Beitrag zum Erhalt der Höfe leisten. 
Mit Blick auf die Finanzierung fordert der Bauernbund einen absoluten Vorrang für den Vertragsnaturschutz und keine Verpflichtung für die Teilnahme an Maßnahmen. Neue Finanzierungsschienen für den Vertragsnaturschutz müssten zur Verfügung gestellt werden, ohne dafür bestehende GAP-Mittel zu verwenden – und schließlich wünscht sich der Bauernbund in seinem Positionspapier eine angemessene Abgeltung der zusätzlichen freiwilligen Leistungen.

Bernhard Christanell

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