Langsam wendet sich das Blatt

Endlich bewegt sich etwas! Der Europäische Rat hat am 25. September den Weg für das Absenken des Schutzstatus des Wolfes frei gemacht. Der Weg hin zu einer legalen Wolfsregulierung in Italien bleibt dennoch lang und steinig. Eine Bestandsaufnahme.

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Überraschende Nachrichten sind selten positiv und politische Entscheidungen dauern oft quälend lange: An diese Tatsachen haben sich auch all jene längst gewöhnt, die seit Jahren auf eine rasche Lösung für das Wolfsproblem im Alpenraum hoffen. Die Probleme auf den verschiedenen Ebenen sind bekannt: Auf internationaler Ebene ist der Wolf über die Berner Konvention – einem völkerrechtlichen Vertrag des Europarates aus dem Jahr 1979 – als „streng geschützt“ eingestuft. Auch in der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der Europäischen Union – in Kraft seit 1992 – ist der strenge Schutz des Wolfes festgeschrieben. 
Bauernbund-Direktor Siegfried Rinner betont: „Trotzdem gibt es auch heute schon Spielräume für Einzelstaaten, Wölfe zu entnehmen, wenn sie denn bestehende Spielräume auch zu nutzen bereit wären.“ In Schweden etwa – ebenfalls Mitglied der Europäischen Union – würden Wölfe bereits seit über zehn Jahren ganz offiziell gejagt. Das Ergebnis: Im ganzen Staatsgebiet gibt es nur einige Hundert Wölfe, in den Jahren 2019 und 2020 musste die Jagd auf den Wolf sogar ausgesetzt werden, weil die Zahl der Tiere unter 300 gesunken war – in ganz Schweden wohlgemerkt!
In Italien – der zweiten politischen Ebene in dieser Diskussion – scheint der Wolf auf Staatsebene vor allem für jene ein Thema zu sein, die sich mit allen Mitteln für den strengen Schutz des Raubtieres einsetzen und jeden, der sich für eine Regulierung ausspricht, offen bedrohen. „Gegen diese Tierrechtsaktivisten scheint kein Kraut gewachsen, und auch die Regierung in Rom scheint sich mit diesen Gruppen nicht anlegen zu wollen“, bedauert Rinner. Und schließlich beiße sich die dritte politische Ebene – das Land Südtirol – seit Jahren mit den Versuchen, Wölfe regulär entnehmen zu lassen, an den italienischen Gerichten die Zähne aus. Doch dazu später mehr …

Entscheidung lange erwartet
Angesichts dieser verzwickten und wenig hoffnungsvollen Lage schien die Nachricht, die am Mittwoch vor zwei Wochen aus Brüssel kam, schon fast zu gut, um wahr zu sein: Der Europäische Rat hat den Weg für das Absenken des Schutzstatus des Wolfes frei gemacht. Und das, nachdem die Entscheidung darüber seit Monaten hinausgezögert wurde und es lange so schien, als ob die notwendige qualifizierte Mehrheit – 55 Prozent der Mitgliedstaaten, die 65 Prozent der Bevölkerung vertreten – nicht zustande kommen würde. Den Ausschlag hat am Ende wohl Deutschland gegeben, das nach langem Zögern zustimmte, unter der Voraussetzung, dass sich die Herabsetzung des Schutzstatus nur auf den Wolf und nicht auf andere Arten beziehen dürfe.
Jahrelang auf diese Herabsetzung hingearbeitet hat der Südtiroler EU-Parlamentarier Herbert Dorfmann, der sich dementsprechend darüber freut: „Das ist der lang ersehnte Durchbruch. Mit dieser Entscheidung kann das Verfahren zur Änderung der Berner Konvention eingeleitet werden, die wiede­rum Staaten und Regionen mehr Spielräume beim Wolfsmanagements geben würde.“ 
Dorfmann und seine Mitstreiter haben in den letzten Monaten immer und immer wieder argumentiert, dass die Konvention der Realität angepasst werden müsse. „Und diese Realität ist, dass es mittlerweile in der EU mehr als 20.000 Wölfe gibt und diese in allen EU-Mitgliedstaaten auf dem Vormarsch sind“, unterstreicht Dorfmann.

Verfahren wird eingeleitet
Nicht nur mit diesen Daten, sondern auch wegen der Probleme, die sich aufgrund der stetig größer werdenden Wolfspopulation vor allem in den Alpen ergeben, haben Dorfmann und eine Reihe seiner Kolleginnen und Kollegen aus den Alpenregionen die EU-Kommission überzeugen können, einen Vorstoß in Richtung einer Änderung der Berner Konvention zu unternehmen. „Der Vorschlag der Kommission ist im Europäischen Rat diskutiert und gutgeheißen worden“, freut sich der Südtiroler EU-Abgeordnete. Der angenommene Vorschlag sieht vor, das Verfahren zur Änderung der Anhänge II und III der Berner Konvention einzuleiten, um den Schutzstatus des Wolfs von „strikt geschützt“ auf „geschützt“ herabzusetzen. „Diese Änderung würde den Staaten und Regionen mit stabilen Wolfspopulationen die Chance geben, mit konkreten Maßnahmen darauf hinzuarbeiten, dem Schutz der Wölfe einerseits, aber auch den Interessen der Alm- und Weidewirtschaft andererseits gerecht zu werden“, erklärt Dorfmann. 
Mit der Entscheidung des Europäischen Rates ist nun der Weg frei, die rechtlichen Grundlagen für ein effizientes Wolfsmanagement zu schaffen. „Endlich“, sagt der Südtiroler EU-Abgeordnete Herbert Dorfmann, „denn damit wird nicht nur den Bedürfnissen der Bauern Rechnung getragen, sondern auch für die dringend nötige Rechtssicherheit gesorgt, die in den letzten Jahren vollkommen gefehlt hat.“

Positive Reaktionen auch aus Südtirol
Auch in Südtirol herrscht Optimismus nach der Entscheidung in Brüssel, erfreut zeigen sich in einer Aussendung Landeshauptmann Arno Kompatscher und Landwirtschaftslandesrat Luis Walcher. „Nach jahrelangem Einsatz haben die EU-Mitgliedstaaten jetzt mehrheitlich für die Herabstufung des Schutzstatus des Wolfes gestimmt – dies ist ein erster wichtiger Schritt, um die Wolfspopulation wirksam zu regulieren“, sagt Kompatscher. Dies sei eine wichtige Voraussetzung, die bewirtschafteten Almen und Bergweiden langfristig zu sichern. Es sei das Ergebnis gemeinsamer, grenzüberschreitender Arbeit, bekräftigt der Landeshauptmann.
„Vernunft und Sachlichkeit haben sich gegenüber anderen Denkweisen durchgesetzt“, ergänzt Landwirtschaftslandesrat Luis Walcher. Wölfe würden sich immer stärker verbreiten und immer mehr Schäden anrichten. „Nicht nur Nutztiere werden angegriffen. Der Wolf nähert sich auch immer mehr den Menschen an. Und genau deshalb sollen Wölfe künftig weniger geschützt werden“, fordert Walcher. Der Landesrat verweist auch darauf, dass in dieser Sache die Netzwerkarbeit mit Europaparlamentarier Herbert Dorfmann und Senator Meinhard Durnwalder wichtig gewesen sei. Jetzt gelte es, den eingeschlagenen Weg weiterzuverfolgen, um den Schutzstatus des Wolfs im Ständigen Ausschuss der Berner Konvention herabzustufen.
Auch Bauernbund-Landesobmann Daniel Gasser freut sich über die Entscheidung des Europäischen Rates: „Das ist ein Schritt, auf den wir lange gehofft haben. Es ist ein Etappensieg auf dem Weg zu einer gezielten Wolfsregulierung, wie wir sie uns wünschen und wie sie unsere Almwirtschaft dringend braucht. Der Weg ist noch lang, aber die Entscheidung aus Brüssel gibt uns wieder Zuversicht.“ In Südtirol habe die Politik in den vergangenen Jahren die richtigen Weichen gestellt, die Voraussetzungen für eine Entnahme von Wölfen wären durchaus gegeben. „Leider scheinen die Gerichte mehr auf die Tierrechtsaktivisten zu hören als auf die Tierhalter, hier braucht es endlich ein Umdenken“, fordert Gasser.

Wie es jetzt weitergeht
Die EU wird nun bei der Sitzung des Ständigen Ausschusses der Berner Konvention Anfang Dezember in Straßburg die Änderung der Anhänge II und III beantragen. Unter den 50 Vertragspartnern braucht es eine Zweidrittelmehrheit, die wohl zustande kommen wird. Sollte die Änderung durchgehen, müsste sie in der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie, mit der die Berner Konvention im EU-Recht umgesetzt wird, übernommen werden. „In der Praxis würde das heißen, dass der Wolf in Zukunft auf einer Ebene mit dem Dachs oder dem Murmeltier zu sehen ist – also Tierarten, die sehr wohl und einfacher bejagt werden können“, unterstreicht Herbert Dorfmann. Staaten wie Italien könnten sich nicht mehr so einfach aus der Verantwortung stehlen, und auch für die Gerichte würde sich die Voraussetzung wesentlich ändern. Bauernbund-Direktor Rinner erklärt: „Mit einem geänderten Schutzstatus wäre der Nachweis von umfangreichen Präventionsmaßnahmen nicht mehr notwendig. Dafür werden die Gerichte wohl auf den günstigen Erhaltungszustand verweisen, wobei völlig ungeklärt ist, auf welche Ebene sich dieser bezieht – auf den Staat, die Region, das Land oder einzelne Talschaften.“ Das Blatt scheint sich langsam zu wenden, zumindest scheinen nun auch die Weichen auf EU-Ebene im Sinne der Bäuerinnen und Bauern gestellt zu sein. Bis der Schutzstatus des Wolfes wirklich gesenkt ist, wird es aber wohl noch dauern. Bis dahin wird das Ringen um eine praktikable Lösung zur Erhaltung der alpinen Almwirtschaft weiter gehen. „Und dieser Kampf wird noch lange dauern und uns viele Nerven kosten – das zeigen allein schon die Argumente, die diesen Sommer vor Gericht gegen die Wolfsentnahmedekrete ins Feld geführt wurden“, betont Rinner.

Entnahmedekrete ausgesetzt
Bekanntlich hatte Kompatscher am 9. August eine Ermächtigung zur Entnahme zweier Wölfe im Obervinschgau unterzeichnet. Zwischen 14. Mai und 21. Juli waren in Planeil und Graun bei neun nachgewiesenen Wolfsangriffen auf drei Almen die Risse von insgesamt 30 Nutztieren verzeichnet worden. Dazu kamen elf Lämmer ohne Ohrmarke, die ebenfalls nachweislich ein Wolf gerissen hatte. Am 14. August hat das Verwaltungsgericht Bozen die Ermächtigung einstweilig ausgesetzt, nachdem mehrere Tierrechtsorganisa­tionen die Maßnahme angefochten hatten. Am 11. September wurde die Entscheidung über den Aussetzungsantrag veröffentlicht: Das Entnahmedekret bleibt ausgesetzt. Die Verhandlung in der Sache wurde für 29. Jänner anberaumt. Einige Inhalte aus dem Urteil des Verwaltungsgerichtes und aus den Gutachten der Umweltbehörde ISPRA und der Wildbeobachtungsstelle des Landes hat Direktor Rinner in der jüngsten Sitzung des Landesbauernrates vorgestellt.
Bauernbund-Landesobmann Gasser ist sich sicher: „Auch wenn der Gegenwind anhaltend stark ist, werden wir unseren Weg weitergehen und auf allen Ebenen für eine Regulierung des Wolfsbestandes arbeiten. Das sind wir unserer Almwirtschaft, vor allem aber unseren bäuerlichen Familien schuldig!“ 

Die wichtigsten Argumente aus dem Urteil des Verwaltungsgerichtes finden Sie ab Freitag in der Ausgabe 18 des „Südtiroler Landwirt“ vom 11. Oktober ab Seite 12, online auf „meinSBB“ oder in der „Südtiroler Landwirt“-App.

Bernhard Christanell