365 Tage im Jahr im Geschäftsregal
Südtiroler Äpfel rund ums Jahr in den Geschäftsregalen weltweit ist die Vision der heimischen Obstwirtschaft. Wie das gelingen kann, war Thema der diesjährigen Obstbautagung in Bozen. Diskutiert wurde dabei auch, ob dadurch wirklich mehr Wertschöpfung für die Bäuerinnen und Bauern herausschaut.
Die letzten Jahre waren schwierig für Südtirols Obstbaubetriebe, fordernd waren nicht nur Märkte und Kunden, sondern auch die Auswirkungen des Klimawandels, das Auftreten neuer Schadorganismen bei gleichzeitig weniger Wirkstoffen, die zur Verfügung stehen, und nicht zuletzt das Karussell an neuen, vielversprechenden Sorten und Klonen, die man erst kennen- und händeln lernen muss. Entsprechend dynamisch mussten sich Genossenschaften und Vermarktungsorganisationen, Forschung und Beratung zeigen, gefordert waren und sind aber auch Bäuerinnen und Bauern, die sich zudem oft die Frage stellten, ob sich der steigende Aufwand für sie und ihre Betriebe auch wirtschaftlich lohnt.
Neuer Ort und neues Format
Es gärt also in der heimischen Obstwirtschaft. Passend dazu hatte der Absolventenverein Landwirtschaftlicher Schulen (ALS) für die diesjährige 72. Ausgabe der Obstbautagung einen neuen Ort – das Eventcenter der Messe Bozen – und als Nachmittagsveranstaltung mit Vorträgen und anschließendem Diskussionsforum auch ein neues Format gewählt. Schließlich gab es Vergorenes von VOG Products, einen Aperitif mit dem neuesten Produkt „Alpl“, einem Apfelsekt. Die Veranstaltung stand unter dem Motto „Chancen und Risiken einer ganzjährigen Apfelvermarktung“. Das Thema wurde von acht Südtiroler Experten rundum beleuchtet und zum Schluss zur Diskussion mit dem Publikum gestellt. Klar wurde dabei, dass die Vermarktungsorganisationen für eine ganzjährige Belieferung der Kunden plädieren und sich bereits in diese Richtung weiterentwickelt haben, allerdings sind sie sich auch der Herausforderungen bewusst, die daraus erwachsen – nicht zuletzt auch für sie selbst und die Genossenschaften. Der Direktor der Vinschgauer Produzenten (VIP), Martin Pinzger, gab zunächst einen Überblick über die Erntemengen, deren Entwicklung und die größten Produzenten: Die Apfelerntemenge ist weltweit in etwa stabil, mit China als Hauptproduzent mit 45 Millionen Tonnen jährlicher Apfelproduktion und 54 Prozent der Gesamtmenge, gefolgt von den EU-27 mit 15 Prozent Marktanteil und rund zwölf Millionen Tonnen Äpfeln, der Türkei (wo die Produktion im Wachsen begriffen ist) oder den USA.
In etwa Marktgleichgewicht erreicht
Das Marktgleichgewicht für Europa liege laut Einschätzung des Experten Helwig Schwartau in etwa bei 10,7 Millionen Tonnen. „Diese Menge wurde in den Jahren 2023 und 2024 geerntet, sie scheint effektiv eine gute Basis zu sein“, meinte Pinzger. Auch für Bioware scheint sich ein Gleichgewicht einzupendeln. Wie im Angebot, so sei auch bei der Nachfrage die Situation in etwa stabil bis leicht ansteigend. Martin Pinzger berief sich in seinen Ausführungen nicht nur auf das eigene Gespür und die Erfahrungen, die er in den letzten 30 Jahren sammeln konnte, sondern auch auf Zahlen und Einschätzungen eines Berichts der Europäischen Kommission. Darin wird von einem Pro-Kopf-Konsum von 14 Kilogramm Äpfeln pro EU-Bürger gesprochen. Und das bei teils höheren Preisen. „Allerdings sind auch die Produktionskosten gestiegen“, räumte Pinzger ein.
Nach Polen ist Italien mit einer Erntemenge von rund zwei Millionen Tonnen der zweitgrößte Apfelproduzent Europas. Nur etwa ein Viertel der italienischen Erntemenge bleibt aber im Land. „Der regionale Markt ist zwar immer wichtig, weil relativ einfach zu bedienen“, meinte Pinzger, trotzdem sei man auf den Export angewiesen, vor allem innerhalb, aber auch außerhalb der EU: zum Beispiel nach Lateinamerika (besonders Brasilien sei interessant), in den Nahen, Mittleren und Fernen Osten oder auch nach Afrika. Laut dem bereits erwähnten Bericht der EU-Kommission verschiebt sich die Bilanz zwischen Import und Export von Äpfeln künftig noch mehr in Richtung Export, auch in weit entfernte Märkte. Und die gute Nachricht: Vor allem Polen und Italien wird in Brüssel zugetraut, sich durch Top-Qualitäten und innovativen Geschmack auch außerhalb Europas am Markt zu behaupten, verkündete Pinzger, der seine Ausführungen schloss, indem er die künftige Strategie in der Vermarktung umriss: „Den nationalen Markt mit Ellenbogen verteidigen, die Marktvorteile innerhalb der Europäischen Union nutzen und außerhalb der EU die Märkte optimiert nach Risiken, Erlös und Auslastung auswählen.“
Das Sortiment für das Ganzjahresangebot
Walter Pardatscher, Direktor des Verbands der Obstgenossenschaften Südtirols (VOG), sprach über die Anforderungen an das Sortiment für ein ganzjähriges Verkaufskonzept. Bereits seit sieben Jahren arbeite man daran. Denn „wir sind überzeugt, dass die Chancen eines ganzjährigen Angebots überwiegen“. Das binde Kunden und Konsumenten, der Regalplatz bleibe gesichert. Zudem könne man die Verkäufe besser steuern, weil man im Winter nicht mehr Äpfel verkaufen müsse, als der Markt fassen kann. Das habe auch Auswirkung auf die erzielbaren Preise. Und nicht zuletzt würden in den Genossenschaften die Arbeitsspitzen gekappt und auf das ganze Jahr umverteilt. Natürlich berge das neue Konzept auch Herausforderungen: Pardatscher nannte die längere Lagerdauer, das Shelflife der Früchte am Verkaufspunkt, den traditionell schwächeren Vermarktungszeitraum Sommer, die Konkurrenz aus der Südhalbkugel und – ganz banal – die Sommerschließungen in den Genossenschaften als Knackpunkte, die es zu lösen gilt.
Neue Sorten wie Cosmic Crisp, RedPop, Giga, Natyra oder Crimson Snow haben konstante Produkteigenschaften, sind unproblematisch im Handling, haben eine lange Lagerfähigkeit und gutes Shelflife und sind laut Walter Pardatscher deshalb bestens geeignet für ein Sortiment, das 365 Tage im Jahr verkauft werden kann. Der VOG-Direktor sprach sich auch ganz klar für „gemanagte“ Sorten aus: „Sie haben den Vorteil, dass man international eingebunden ist und gemeinsam mit den Partnern die Produktionsmengen festlegt.“ Das stütze den Preis. „Sie sind ein wichtiger Baustein im Konzept des 12-monatigen Angebots“, unterstrich Pardatscher.
Die Spannungsfelder
Nach den Chancen ging es in mehreren Vorträgen um die großen Herausforderungen, die im Anbau, in Forschung und Beratung, in den Obstgenossenschaften und Lagern bewältigt werden müssen, um Märkte weltweit das ganze Jahr über mit Top-Qualitäten versorgen zu können.
Beratung und Lagerung
Robert Wiedmer, Direktor des Südtiroler Beratungsrings für Obst- und Weinbau, zeichnete ein spannungsreiches Bild zwischen markant gestiegenen Produktionskosten, neuen Schadorganismen, einer immer kleineren Auswahl an einsetzbaren Pflanzenschutzmitteln, dem schonenden Umgang mit Ressourcen und dem Nährstoffmanagement einerseits, den Auswirkungen des Klimawandels andererseits und dem gleichzeitigen Anspruch, ein Produkt auf den Markt zu bringen, das Kunden und Konsumenten sowohl in innerer als auch äußerer Qualität überzeugt. In diesem Spannungsfeld sieht Wiedmer Forschung, Beratung, Praxis und Politik im Zusammenspiel gefordert. Lagerungsexperte Angelo Zanella unterstrich, dass die Qualität der Äpfel vor der Ernte entschieden wird: Dabei spielen Sorte, Standort, ausgewogene Düngung, optimaler Wuchs, gute Belichtung und die rechtzeitige Ernte eine Hauptrolle. „Der Erntetermin beeinflusst den Reifeverlauf nach der Ernte und damit den Lagerungserfolg“, erklärte Zanella die Schlüsselaspekte für die langfristige Lagerung von Äpfeln. Er umriss eine Lagerstrategie, die das Versuchszentrum Laimburg entwickelt hat, um die 12-monatige Vermarktung der Südtiroler Äpfel unterstützen zu können.
Produktion und Sortenfrage
Peter Stricker (VIP) und Thomas Werth (VOG) sprachen über die Herausforderungen für den gesamten Produktionszyklus in den Genossenschaften – von der Anlieferung bis zur Verladung. Dabei gingen sie offen auf die unterschiedlichen Bedürfnisse ein, die einerseits die Vermarktungsorganisationen und andererseits Produzentinnen und Produzenten umtreibt: „Wir brauchen so viel wie möglich zum optimalen Erntezeitpunkt“, meinte Stricker, den Bauern aber verursache das Stress bei Organisation und Abwicklung der Ernte. Den Bauern sei bei der Anlieferung eine schnelle Abwicklung wichtig, weil sie zurück auf die Wiese müssen, in der Genossenschaft aber müssen die Zellen im Sinne einer optimalen Lagerung gut eingeteilt werden. Das brauche Zeit. Auch hier käme es oft zu Spannungen. Sortierung, Verpackung und Verladung sind Prozesse, die im Laufe der Jahre immer komplexer und damit auch kostenintensiver geworden sind. Hier sind es vor allem die Kunden, die ganz unterschiedliche Bedürfnisse haben, was die Abläufe zunehmend verkompliziert und Dynamik abverlangt. „,Geht nicht, gibt’s nicht‘ ist der Losspruch, um am Markt bestehen zu können“, meinte Stricker dazu.
Auf das Problem, qualifizierte und motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Arbeit in den Genossenschaften zu rekrutieren, ging Thomas Werth ein: „Ein Betrieb, der 365 Tage im Jahr läuft, kann keine 4,5-Tage-Woche bieten, entsprechend müssen wir durch andere Benefits punkten.“ Die Arbeit selbst sei spannend, abwechslungsreich und durchaus attraktiv, meinte er, aber auch fordernd. Pomologe Walter Guerra sprach über Anforderungen an die Sorten für die Zukunft. Seine Aufgabe sei es, gemeinsam mit den Mitarbeitern am Versuchszentrum Laimburg in der Sortenprüfung Daten zu sammeln und aus der Fülle an Neuheiten alle jene auszuschließen, die nicht einzuführen sind. Man komme aber kaum nach, weil in dem Bereich viel Bewegung sei. Zudem hat das Forschungszentrum ein eigenes Züchtungsprogramm. Auch in neuen Züchtungsmethoden sieht der Pomologe eine Chance, vor allem wenn es um Resistenzzüchtung geht. Und nicht zuletzt setzte sich Guerra für eine Abstimmung der Sorte auf die jeweilige Lage ein: Eine Sorte am falschen Standort mache keine gute Performance.
Die Notwendigkeit der Prüfung und Einführung neuer Sorten unterstrich Markus Bradlwarter vom Sortenerneuerungskonsortium Südtirol (SK). Es sei aber ein langwieriger Prozess, der zwölf bis 18 Jahre dauert. Das Ziel sei auf jeden Fall, dass der Bauer wirtschaftlich arbeiten könne. Bradlwarter appellierte auch, sich weiterhin intensiv um die Sortenprüfung und -erneuerung einzusetzen. „Wir müssen jetzt investieren, damit wir in zehn Jahren wieder etwas Brauchbares haben!“, meinte er. In der anschließenden Diskussion blieb nichts ausgespart. Die Bäuerinnen und Bauern stellten die Experten auf den Prüfstand, vor allem ging es um Themen wie die Einführung neuer Sorten, die vielfältigen Herausforderungen in der Produktion am Feld und natürlich um die Ganzjahresstrategie und ob dadurch auch für die Obstbaubetriebe wirtschaftlich mehr herausschauen kann. Stefan Pircher, Obmann des Absolventenvereins, zeigte sich erfreut über die rege Diskussion. Und auch darüber, dass das neue Format der Tagung gut angenommen worden ist. Landesrat Luis Walcher, der es sich nicht hatte nehmen lassen, bis zum Schluss zu bleiben, lobte: „Danke für euren Mut, einen neuen Ort und ein neues Format zu wählen, aber wie immer die brennenden Themen der Obstwirtschaft anzugehen.“ Wissen zu bündeln und zur Diskussion zu stellen, mache Südtirols Obstwirtschaft erfolgreich.