Vor allem junge Menschen trinken keinen oder wenig Wein und bevorzugen Mischgetränke oder alkoholfreie Varianten.

Weinwirtschaft unter Druck

Klimakrise, sinkender Konsum und schwankende Erntemengen, Nachhaltigkeit und eine restriktive ­Gesundheitspolitik – die Weinwirtschaft steht vor vielen offenen Fragen. Bei der Weinbautagung ging es um mögliche Antworten wie Innovationsgeist, politisches Geschick – und Storytelling.

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Produktion Wirtschaft

Nach 15 Jahren als Koordinator der Arbeitsgruppe Weinbautagung übergab Günter Pertoll bei der diesjährigen 63. Ausgabe den Stab an Lukas Zelger weiter: Er wird künftig die Tagung gemeinsam mit dem Organisationskomitee des Absolventenvereins Landwirtschaftlicher Schulen (A.L.S) planen und umsetzen. Obmann Stephan Pircher bedankte sich bei Pertoll und ließ Zelger das neue Konzept der Tagung vorstellen: Jede Hand formt. So wird man auch in Zukunft die Themen der Tagung so wählen und von Experten beleuchten lassen, damit alle Schritte vom Anbau über die Verarbeitung bis hin zum zufriedenen Konsumenten abgedeckt werden. Ein Anspruch, dem auch die diesjährige Tagung gerecht wurde. Landesrat Luis Walcher unterstrich bei der Eröffnung im Raiffeisensaal in Eppan die besondere Bedeutung des Weinbaus für Südtirol: „Der Wein ist ein ehrlicher und authentischer Botschafter unseres Landes“, meinte er, Südtirol sei inzwischen ein Fixpunkt auf der internationalen Weinlandkarte. Dass das auch als Auftrag gesehen werden muss, wurde bereits bei den Ausführungen von Christian Schwörer, Generalsekretär des Deutschen Weinbauverbandes, klar. Er sprach über „Nachhaltigkeit, Klimawandel und geändertes Konsumverhalten – aktuelle Herausforderungen der europäischen Weinerzeuger“. „Die Produktionskosten steigen, der Weinkonsum in der Europäischen Union  geht zurück, das Verbraucherverhalten ändert sich und der Weltmarkt ist von Unsicherheiten geprägt. Gemeinsam mit der Häufung negativer klimatischer Ereignisse, immer komplexeren rechtlichen Regelungen, einer von Gesellschaft und Politik stark geforderten ökologischen Nachhaltigkeit und der negativen Darstellung von Wein in der Gesundheitspolitik gestaltet sich die Zukunft der Branche schwierig“, skizzierte Schwörer das Szenario. 
Damit ging der Experte ins Detail: Nachdem es im Jahr 2007 in Europa einen Höhepunkt beim Weinkonsum gegeben hat, geht er seitdem jährlich um ein bis zwei Prozent zurück. Junge Konsumentinnen und Konsumenten trinken insgesamt weniger, oft bevorzugen sie Mischgetränke oder alkoholfreie Weine. „Weltweit ist zwar ein leichter Anstieg im Weinkonsum festzustellen, aber der kann das Minus in Europa nicht ausgleichen“, meinte Schwörer. In der Folge werde sich die euro­päische Weinwirtschaft stärker auf den Export konzentrieren (müssen), Wachstumsmärkte seien Afrika und Lateinamerika. Eine weitere Herausforderung für die europäischen Weinproduzenten ist der Klimawandel und die damit einhergehenden schwankenden Erntemengen: „In Jahren mit starker Dürre beispielsweise sind wir nur begrenzt lieferfähig und verlieren dadurch Regalmeter im Handel. Wenn darauf ein Jahr mit viel Ertrag folgt, ist es schwer, diese Regalmeter wiedergutzumachen“, erklärte Schwörer. Deshalb gehen insgesamt die Bestände in die Höhe, vor allem bei den Rotweinen.
Auch politisch steigt der Druck: „Die letzte GAP war die grünste aller Zeiten, gemeinsam mit Biodiversitätsstrategie, Green Deal, Farm-to-Fork-Strategie und dem Aktionsplan zur Förderung der Bioproduktion hat die EU-Kommission in den letzten Jahren viel angestoßen, wenn es um das Thema ökologische Nachhaltigkeit geht“, erklärte Christian Schwörer. Der Deutsche Weinbauverband hat als Antwort eine Nachhaltigkeitsstrategie ausgearbeitet und dabei klargestellt, dass Betriebe ökologisch, sozial und ökonomisch nachhaltig geführt werden müssen, weil ihre Wettbewerbsfähigkeit erhalten bleiben muss. 

Strategische Empfehlungen 
Wie aber reagiert die Politik in Brüssel auf die Herausforderungen der Branche? Sie hat eine „High-Level-Group“ gegründet, die sich damit befasst und strategische Empfehlungen für die künftige EU-Weinpolitik formulieren soll. Positiv dabei: In der Arbeitsgruppe ist der Berufsstand mit vertreten. So wurden Ende 2024 drei Hauptprioritäten festgelegt: die Anpassung des Produktionspotenzials, die Stärkung der Resilienz gegen Markt- und Klimaveränderungen, die Anpassung an Markttrends und die Nutzung von Chancen. „Das ist schon mal ein guter Ansatz, aber es ist wenig konkret“, unterstrich Schwörer. Auch einen Zeitplan vermisst er, denn „die Zeit drängt!“. Zum Beispiel beim Management des Produktionspotenzials: Nach dem Vorbild der Rodungsregelung Frankreichs spreche sich der Deutsche Weinbauverband für eine Rotationsbrache von acht Jahren aus, von der landschaftlich wertvolle Rebflächen (Steillagen) ausgenommen bleiben sollen. Auch sollen die Brachflächen landwirtschaftlich genutzt bleiben und nachher wieder in Produktion genommen werden können. 
Weitere konkrete Forderungen der Branche betreffen die Prüfung von Kaliumphosphonat für den Bioanbau: „Es ist das einzig wirksame und sichere Pflanzenstärkungsmittel ohne Rückstandsproblematik“, unterstrich Schwörer. Auch spricht man sich für einen moderaten Weinkonsum aus. „Für die Vorgabe ,No safe level‘, also am besten gar keinen Alkohol zu trinken, gibt es schlichtweg keine wissenschaftliche Evidenz!“, erklärte Schwörer, der die Anwesenden dazu animierte, die neue weltweite Kampagne für Weinkultur und moderaten Weinkonsum „Vitaevino“ zu unterstützen, sich auf www. vitaevino.org. zu registrieren und zu helfen, die Branche in die Zukunft zu führen. 

Lagenkonzept Südtirol
Kathrin Werth und Michael Wild vom Konsortium Südtirol Wein sprachen zum Thema „Terroir neu gedacht“ und erklärten den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Weinbautagung das neue Lagenkonzept für den Südtiroler DOC-Wein. „Bisher waren in den DOC-Bestimmungen für Südtirol nur Ursprungsbezeichnungen enthalten, zu ihrem 50. Geburtstag hat man nun einen Schritt weiter gemacht und 86 Lagen definiert“, erklärte Werth. Am 17. Oktober des letzten Jahres wurden die neuen Erzeugervorschriften veröffentlicht. Schon bei der Ernte 2024 hat die Lageneinkellerung stattfinden können: 42 Kellereien haben sie bereits verwendet, 45 Lagen wurden 2024 gemeldet. Sie umfassen 369 Hektar Fläche und eine Produktion von 24.355 Dezitonnen. Die gesamte Lagenweinproduktion betrug 2024 bereits 16.854 Hektoliter. Michael Wild erklärte, wie das Lagenkonzept technisch erarbeitet und wissenschaftlich belegt und begrenzt wurde. Ziel der neuen Erzeugervorschriften ist die Qualitätssteigerung und die klare Kommunikation mit den Konsumenten: So wird damit die Herkunft des Weines garantiert und dass in jeder spezifischen Lage die dafür optimal geeigneten Rebsorten (max. 5) angebaut werden. Schließlich gilt auch eine Mengenbegrenzung von 25 Prozent gegenüber der DOC-Menge. Eine Lage wird mit einem Piktogramm auf dem Etikett optisch erkennbar gemacht, es gilt ausschließlich für Südtiroler Lagen.

„Fine Wines“ für Sekundärmarkt
Über „Fine Wines“ und ihre Bedeutung sprach Wolfgang Klotz, Verkaufsleiter der Kellerei Tramin: „Unter ,Fine Wines‘ versteht man Weine mit sehr hohen internationalen Bewertungen aus renommierten Anbaugebieten, die sich durch Lagerfähigkeit auszeichnen und über die Jahre eine Wertsteigerung erfahren“, erklärte er. Sie werden auf dem sogenannten Sekundärmarkt gehandelt, also wiederverkauft: durch spezialisierte Händler, traditionelle Auktionshäuser wie Christie’s und Sotheby’s oder über Online-Marktplätze wie Catawiki oder Liv-Ex (London International Vintners Exchange). Letztere vergibt auch Indizes, an die sich Sammlerinnen und Sammler oder Investoren orientieren können. In der Liv-Ex Klassifikation 2023 wurden
296 Weine weltweit gehandelt, davon 90 Prozent Rotweine. Italien ist mit 65 Weinen vertreten (mit Toskana und Piemont als Schwerpunkten), getoppt nur von Frankreich mit 195 Weinen (z. B. aus dem Bordeaux und Burgund). Südtiroler Weine sind keine da­runter, das Potenzial, in dieser obersten Liga mitzuspielen, haben wenige, als Region spielt Südtirol in diesem Ambiente keine Rolle. „Deshalb ist Südtirol zwar knapp dran, aber ebenso weit entfernt, zu den ganz Großen der Welt zu werden“, schloss Klotz.

Social Media als Erfolgsfaktor
Als Letzter sprach Christopher Sommer, Prokurist von Travino/WirWinzer zum Thema „Rolle von Nachhaltigkeit, Vielfalt und Individualität im Weinhandel“. Zunächst stellte er das Konzept seines Unternehmens vor, Europas größtem Marktplatz für Weine direkt vom Winzer: Sie umfasst 52.000 Weine von 4000 Winzerinnen und Winzern und beschäftigt 20 Mitarbeiter in München, Verona und Madrid: Die Plattform ermöglicht den Kauf von Weinen direkt vom Winzer zum Ab-Hof-Verkaufspreis. Dabei liegt der Schwerpunkt auf kleinen Betrieben, großer Vielfalt durch Vollsortiment und nachhaltig produzierte Weine: „Bio ist keine Nische mehr: Nachhaltigkeit und Transparenz werden ­heute vorausgesetzt“, erklärte Sommer. Auch die Nachfrage nach alkoholfreien Weinen steigt.
Ein weiterer Pluspunkt für Travino/Wir Winzer ist, dass jeder Betrieb eine eigene Handschrift hat und sie auch weltweit kommunizieren kann: „Storytelling ist der Erfolgsfaktor: Geschmack und Lage sind zwar nach wie vor wichtig, die Kunden wollen aber Weine von Betrieben, mit denen sie sich identifizieren, die sie individuell auswählen und sich dadurch besonders fühlen“, erklärte Sommer. Dabei spielen Social Media wie Instagram oder auch TikTok eine wichtige Rolle, auch Kanäle von Influencern. Denn: „68 Prozent vertrauen Social-Media-Empfehlungen mehr als Werbung. Das Marktvolumen von Social Commerce in Europa wird mehr als zehn Prozent der E-Commerce-Umsätze ausmachen“, schloss Sommer.
Am Nachmittag widmeten sich die Vorträge technischen Themen: Ulrike Tappeiner und Elia Guariento vom Institut für Alpine Umwelt von Eurac Research sprachen über Biodiversität im Weinbau und stellten die Ergebnisse des fünfjährigen Biodiversitäts­monitorings Südtirol vor, während Florian Haas und Ulrich Pedri vom Versuchszentrum Laimburg die Frage erörterten, ob die Trauben- und Weinqualität des Südtiroler Weißburgunders von Entblätterungsmaßnahmen beeinflusst wird. Zum Schluss sprach Manuel Kohles von der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau Veitshöchheim über Strategien zur Minimierung von Frostschäden. 

Renate Anna Rubner

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