„Viele Ideen sind heute noch aktuell“

Seit der Zeit von Michael Gaismair sind 500 Jahre vergangen, viele Ideen sind heuer aber aktueller denn je, sagt der Historiker Ralf Höller. Er hat ein Buch über Michael Gaismair geschrieben. Die Landesversammlung des SBB am 22. Februar widmet sich dem Tun Gaismairs und lädt die Teilnehmer zu einer spannenden multimedialen Zeitreise ein.

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SBB

Herr Höller, Sie haben ein Buch über Michael Gaismair geschrieben. Was ist das Faszinierende an der Person Michael Gaismair?
Das ist der scheinbare Widerspruch: Gaismair lebte vor 500 Jahren, aber viele seiner Ideen sind heute noch aktuell. Er war seiner Zeit weit voraus. Seine Ideen musste er alle selber entwickeln, außer der Bibel besaß er weder eine Vorlage noch hatte er ein Vorbild. Die Zeit der Aufklärung, der großen Denker und Staatstheoretiker sollte ja noch kommen. Die von ihm und sicher mit Hilfe einiger unerwähnt gebliebener kluger Geister erarbeitete Landesordnung legte er zweieinhalb Jahrhunderte vor der Französischen Revolution vor. Dazwischen ist, was Verfassungsentwürfe betrifft, nicht viel Fortschrittliches gekommen.

Was zeichnet Michael Gaismair aus, was bleibt von ihm in Erinnerung?
Michael Gaismair war Bauer von Herkunft, arbeitete für einen Adligen (den Landeshauptmann Völs) und dann für einen Geistlichen (den Fürstbischof Sprenz). Außerdem war er einer der Schreiber auf dem Tiroler Landtag 1523. Er kannte sich bei allen vier Ständen (Bauern, Bürger, Adel, Klerus) gut aus, hat sich überall etwas abgeschaut, wusste aber auch um deren Schwächen. Daraus hat er dann seine Schlüsse gezogen – und versucht, eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen, in der es möglichst vielen Menschen besser geht. Auf diesem Prinzip lässt sich politisch heute noch aufbauen. Gaismair war, das lässt sich ohne Übertreibung sagen, einer der ersten Revolutionäre unserer Geschichte.

Während die Bauernkriege nördlich der Alpen niedergeschlagen wurden, kam es hierzulande zu einem politischen Umbruch. Was machten Gaismair und seine Helfer anders?
Die Aufständischen nördlich der Alpen wollten fast ausschließlich nur ihre Beschwerden abgestellt haben, die südlich der Alpen dachten einen Schritt weiter und forderten mehr politische Mitsprache. Die Tiroler Bauern lebten bereits auf einem recht hohen Niveau. Sie waren auf den Landtagen präsent, hatten aber weniger zu sagen als Adel und Klerus. Die beiden oberen Stände waren in der Defensive, der ländliche Adel gegenüber den wirtschaftlich aufstrebenden Städten, die katholische Kirche gegenüber der Reformation. Gemeinsam mit dem Landesherrn konnten die unteren eine Allianz gegen die oberen Stände bilden, die immer mehr Privilegien an sich gerissen und auch die Macht des Erzherzogs eingeschränkt hatten. Eine Zeitlang funktionierte die neue Allianz – bis Ferdinand einen Keil zwischen wohlhabende Bauern und Bürger auf der einen und armen Landbewohnern und Städtern auf der anderen Seite getrieben hatte. In der Folge kam es zum Bruch zwischen Gaismair und dem Erzherzog; Klerus und Adel erhielten ihre frühere Macht zurück – aber nur zum Teil.

Gaismair hat eine eigene Landesordnung verfasst. Was war das Revolutionäre daran?
Gaismair schwebte eine Republik vor. Die gab es nur in der Schweiz, in Venedig und anderen oberitalienischen Stadtstaaten. Doch diese Modelle reichten Gaismair nicht. Er wollte nicht nur den Klerus und den Adel auflösen, sondern sämtliche Stände. Es sollte nur noch Bauern, Handwerker und Bergarbeiter geben und Städte in selbstversorgende Dorfgemeinschaften umgewandelt werden. Gaismairs Gesellschaft war eine Gemeinschaft von Gleichen: Gemeinnutz vor Eigennutz, Abschaffung aller Privilegien. Jeder durfte nur so viel an Land besitzen, wie er selber bebauen konnte; bislang nicht genutztes Land sollte an die Dorfgemeinschaften fallen. Der Staat durfte sich nicht verschulden. Priester sollten von den Gläubigen gewählt werden. Die Realität in allen europäischen Ländern damals sah komplett anders aus. Und Gaismairs Forderung finden sich auch heute noch in manchen politischen Programmen wieder.

Letztlich scheiterten Gaismair und die Bauernkriege. Warum hatte der Aufstand keinen Erfolg?
Die Aufständischen in Tirol hatten einen günstigen Zeitpunkt erwischt und ihre Chance genutzt, um ihre Forderungen durchzudrücken. Aber das Blatt wendete sich: In allen anderen Teilen des Reichs erlitten die Bauern Niederlagen. Sämtliche Energie konnte fortan darauf verwendet werden, die Tiroler Erhebung niederzuschlagen. Auf dem Tiroler Landtag, den die Aufständischen ertrotzt hatten, wurden die Karten neu gemischt: Ferdinand verstand es, die wohlhabenden Bauern und Städter hinter sich zu scharen – zum Schaden der ärmeren Bauern ohne Land und der ärmeren Städter ohne Haus und Bürgerrecht. Letztere stellten klar die Bevölkerungsmehrheit, waren aber politisch so gut wie gar nicht repräsentiert.

Die Zeiten, an denen Michael Gaismair gelebt hat, waren unruhig. Auch heutzutage ist viel in Bewegungen, die Welt verändert sich immer schneller. Welche Parallelen gibt es zwischen früher und der Jetztzeit?
Selbst das Tirol der frühen Neuzeit war nicht mehr das Tirol des Mittelalters. Es gab nicht mehr nur die katholische Religion. Den immer aufwändigeren Bergbau betrieben statt einzelner Schürfer bald nur noch weit verzweigte Unternehmen wie die Fugger. Erzherzog Ferdinand war so stark verschuldet, dass er finanziell von ausländischen Bankiers abhing und ohne fremde Hilfe weder ein Heer auf- noch ein Budget erstellen konnte. Das sind jetzt nur drei Beispiele. In Italien mag es vielleicht noch ein wenig anders sein, aber in Deutschland beispielsweise spielt die Religion eine stark abnehmende Rolle. In die Politik, ursprünglich den Regierungen vorbehalten, mischen sich immer stärker wirtschaftlich mächtige, reiche Privatleute und internationale Konzerne ein. Und in der EU beispielsweise gibt es keinen einzigen Staat, dem nicht die eigene Verschuldung zu schaffen machen würde. Wie gesagt, das sind nur drei Beispiele …

Was können die Bäuerinnen und Bauern von Michael Gaismair lernen, wo kann er als „Vorbild“ dienen?
Die Frage ist nicht ganz ohne Ironie, denn Gaismair hatte kein Vorbild. Er hat aus eigenen und auch aus Fehlern anderer gelernt, seine Persönlichkeit weiterentwickelt und war bereit für Veränderungen. Gaismair war Autodidakt, umfassend gebildet und auf vielen Gebieten zu Hause, dazu in ganz verschiedenen Berufen herumgekommen. Er hat sich auf das besonnen, „was gut war“ (offenbar eine auch von späteren Sterzingern angewandte Maxime). Dennoch war Gaismair nie rückwärtsgewandt, er hätte nie gesagt: „Früher war alles besser“. Stattdessen war er weltoffen, zukunftsorientiert und immer an Neuem interessiert. Gaismair dachte sozial: Wenn etwas verbessert werden konnte, sollte es einer möglichst große Anzahl Menschen zugute kommen.

Die heurigen Landesversammlung am 22. Februar steht ganz im Zeichen von Michael Gaismair. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden mit auf eine Zeitreise genommen. Was erwartet sie im Waltherhaus in Bozen?
Sie können in einen Zug einsteigen, der in der Geschichte 500 Jahre zurückfährt. Wenn sie dort aussteigen, werden sie feststellen, dass die Welt, die sich ihnen dann präsentiert, von der aktuellen, der ihren, so verschieden nicht ist. Sie werden einige Probleme, die ihnen zu schaffen machen, wiedererkennen, und vielleicht auch den einen oder anderen Gaismairschen Lösungsansatz für so verkehrt nicht halten. Und wenn sie nach ihrer Rückkehr wieder daheim angekommen sind, werden eventuell manche Fragen, die Gaismair sich gestellt hat, auch in ihrem Alltag auftauchen. Fragen, mit denen man sich schon einmal beschäftigt hat, sind künftig leichter zu beantworten.

Auch in der aktuellen Folge des Podcasts „Zuaglost“ geht es um Michael Gaismair. Zu Gast ist Wolfgang Moser, der Regisseur des Spielfilms „Michael Gaismair“. Abrufbar ist die Folge unter zuaglost.podigee.io.

Ralf Höller: „Michael Gaismair wollte eine gerechtere Gesellschaft schaffen.“

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