„Landwirtschaft attraktiv erhalten“
Der neue EU-Kommissar für Landwirtschaft und Ernährung, Christophe Hansen, hat vergangene Woche in Brüssel seine Vision für die ihm anvertrauten Themenbereiche bis zum Jahr 2040 vorgestellt. Was diese beinhaltet und was davon zu halten ist …
Das Dokument, in dem Kommissar Hansen seine Vorschläge und Ideen zusammengefasst hat, war mit Spannung erwartet worden. Schließlich hat sich bereits bei der Ernennung von Hansen zum Kommissar ein Richtungswechsel in der EU-Agrarpolitik angedeutet. Tatsächlich klingen die wichtigsten Ziele der Vision sehr vielversprechend: Steigerung der Attraktivität der Landwirtschaft, Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und Widerstandsfähigkeit, ökologischer Übergang und Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit in der Lebensmittelversorgungskette sowie Innovation und Digitalisierung – sie alle sind als Schwerpunkte angeführt. Inhaltlich fehlen noch konkrete zeitliche Vorgaben und die finanziellen Grundlagen, aber es ist ja auch „nur“ eine Vision. Der „Südtiroler Landwirt“ hat EU-Parlamentarier Herbert Dorfmann um seine Einschätzung der Ideen des EU-Agrarkommissars gebeten.
Südtiroler Landwirt: Die Vision von Kommissar Hansen zur Zukunft von Landwirtschaft und Ernährung in Europa liegt nun vor. Worin unterscheidet sie sich von dem, wie sich in den vergangenen Jahren die Agrarpolitik der EU entwickelt hat?
Herbert Dorfmann: Das Papier, das Kommissar Hansen jetzt vorgelegt hat, unterscheidet sich vor allem im Ton von dem, was wir in den vergangenen Jahren gewohnt waren. Bei allen Diskussionen zur „Farm to Fork“-Strategie in der letzten Amtsperiode war nie von Versorgungs- und Ernährungssicherheit die Rede, dieses Papier beginnt mit einer langen Überlegung zu gerade diesem Thema. Die Verwerfungen, die wir in den vergangenen Jahren am Markt erlebt haben, haben gezeigt, dass Versorgungssicherheit nicht selbstverständlich ist. Die neue Linie ist viel näher bei der Landwirtschaft, ohne dass sie die Nachhaltigkeit aus dem Auge verliert. Das Augenmerk liegt jetzt ganz klar auf einer erfolgreichen Landwirtschaft in Europa.
Wenn die Abhängigkeit von Lebensmittelimporten aus anderen Regionen der Erde gesenkt werden soll, dann müssten die betreffenden Produkte wohl innerhalb der EU angebaut werden. Heißt das nicht auch, dass sich die europäische Landwirtschaft in dem, was sie produziert, grundlegend verändern muss?
Europa ist ja grundsätzlich nicht schlecht aufgestellt, die EU ist der größte Exporteur von Lebensmitteln weltweit. Vieles von dem, was wir brauchen, bauen wir auch selbst an. Wir haben aber auch einige markante Defizite – vor allem im Bereich des Ackerfutterbaus, und hier vor allem bei den Eiweiß-Futterpflanzen. Diese Defizite führt Kommissar Hansen in seinem Papier auch an. Die Flächen, diese Ackerbaufrüchte in dem Umfang anzubauen, wie wir sie brauchen würden, haben wir in Europa schlichtweg nicht. Wenn wir also den Anteil jener Ackerfrüchte, die wir aufgrund der klimatischen Voraussetzungen in Europa anbauen könnten, steigern wollen, statt sie zu importieren, dann werden andere Produkte wie Getreide darunter leiden. Es muss schon ein Ziel sein, den Selbstversorgungsgrad in Europa zu steigern, soweit wie das möglich ist.
Welche Rolle sollen die Junglandwirte und der Generationswechsel laut der Strategie spielen? Und wie will der Kommissar diese konkret unterstützen?
Der Generationswechsel und die Junglandwirte sind dem Kommissar ein besonderes Anliegen. Wir müssen in Europa die Landwirtschaft für junge Menschen attraktiv machen und halten. Das gelingt mit einem komplexen Mix an Maßnahmen, bei dem es einmal darum geht, dass auch kommende Generationen mit der Landwirtschaft Geld verdienen können, zum anderen um lebenswerte ländliche Räume, die auch als Lebensraum attraktiv sind. Es geht um eine besondere Berücksichtigung der Junglandwirte in der gemeinsamen Agrarpolitik und um eine erfolgreiche ländliche Entwicklung. Vor allem aber geht es um die Wertschätzung für das Berufsbild Landwirtschaft: Wir müssen daran arbeiten, dass den Menschen in Europa wieder bewusst wird, dass das tägliche Überleben ohne die Arbeit der Bäuerinnen und Bauern nur schwer vorstellbar ist.
Auch neue Formen der finanziellen Unterstützung hat Kommissar Hansen angekündigt. Gibt es dazu bereits konkrete Ideen, und welche Schwerpunkte will Hansen hier in Zukunft setzen?
Kommissar Hansen nennt in seinem Dokument mehrere Vorschläge für neue Wege der finanziellen Unterstützung. Er bleibt dabei aber naturgemäß eher schwammig, weil auch er nicht weiß, wie viel Geld ihm in den kommenden Jahren zur Verfügung stehen wird. Und davon hängt natürlich wesentlich ab, wie man finanzielle Unterstützung aufstellen kann. Er möchte aber genauer hinschauen, wo und für wen Fördergelder wirklich nötig sind. Es geht um mögliche Obergrenzen für Fördergelder ebenso wie um eine bessere Umverteilung von großen auf kleine Betriebe.
Ein Schwerpunkt soll laut der Vision des Kommissars die Stärkung der Landwirte innerhalb der Lebensmittelversorgungskette sein. Auch hier: Gibt es Ideen, wie das konkret gelingen soll?
Die Kommission hat in den vergangenen Wochen bereits zwei Entwürfe für Verordnungen vorgelegt, mit denen zum einen unlautere Handelspraktiken noch stärker eingedämmt und zum anderen in der gemeinsamen Marktordnung die Position der Landwirtschaft gestärkt werden soll. Lebensmittel haben in den vergangenen Jahren einen großen Inflationsschub erlebt, das heißt aber nicht notgedrungen, dass mehr Geld bei den Produzenten der Lebensmittel, sprich den Bauern, angekommen ist. Es sollte auch im Sinne der gesamten Versorgungskette sein, dass die Bäuerinnen und Bauern mehr vom Kuchen erhalten. Denn die Agrarproduktion – und damit die Grundlage für die verarbeitende Industrie und für den Handel – ist nur attraktiv und zukunftsfähig, wenn die Bauern damit auch Geld verdienen können.
Auf den ersten Blick spielen Umweltschutz, Nachhaltigkeit und die Anpassung an den Klimawandel in der Politik der neuen EU-Kommission nur noch eine Nebenrolle. Sehen Sie das auch so?
Ich glaube nicht, dass Nachhaltigkeit und der Klimawandel in der neuen EU-Kommission eine Nebenrolle spielen. Kein Sektor ist so sehr vom Klimawandel betroffen wie die Landwirtschaft, und es ist im ureigensten Interesse der Bäuerinnen und Bauern, den Klimawandel zu bekämpfen. Die Landwirtschaft wird sich aber auch an den Klimawandel anpassen müssen, und das wird viel Geld kosten – denken wir nur an Beregnungsanlagen sowie Frost- und Hagelschutz. Es geht darum, die richtige Balance zu finden: Landwirtschaft muss gleichzeitig nachhaltig sein und muss produzieren. Diesen Spagat können wir nur mit Forschung, Entwicklung und einer guten Ausbildung schaffen.
Gibt es konkrete Ansätze, bestimmte Regionen innerhalb der EU – vor allem die Berggebiete – gesondert zu stärken und zu schützen? Wenn ja, welche?
Kommissar Hansen weist darauf hin, dass es Gegenden in Europa gibt, die eine Unterstützung besonders nötig haben, und er nennt dabei auch die Berggebiete. Wenn man das Geld in Europa halbwegs gerecht verteilen will, dann muss man dort hinschauen, wo das Geld dringender gebraucht wird, damit die Betriebe überleben können. Und da gehört das Berggebiet sicher dazu. Wenn dieser Mitteilung also konkrete Taten folgen sollen, dann muss es Zugeständnisse an die Berggebiete geben. Das wird auch einer meiner persönlichen Schwerpunkte sein, wenn es in den kommenden Monaten und Jahren um die Reform der gemeinsamen Agrarpolitik geht.
Wie kann das EU-Parlament die Strategie von EU-Kommissar Hansen unterstützen? Und hat es das auch vor?
Vorerst ist die Mitteilung des Kommissars ein Arbeitsprogramm für die laufende Amtszeit und auch darüber hinaus. Damit diesen Worten auch Taten folgen können, braucht es Regelungen und Gesetze, die der Kommissar vorlegen muss. Wir als EU-Parlament erwarten uns in den kommenden Monaten nun konkrete Vorschläge mit Zeitplänen und genaueren Zahlen. Es ist dann unsere Aufgabe und jene der Mitgliedstaaten, diese Konzepte und Vorschläge zu begutachten und dann auch umzusetzen. Wir werden uns im Parlament jeden Vorschlag genau anschauen und, wenn wir ihn für gut befinden, versuchen, Mehrheiten zu finden.

Agrarkommissar Christophe Hansen will die Berggebiete besonders unterstützen.