Agri-PV: Chance mit Fragezeichen
Bis Mitte des Jahres will die Landesregierung den Beschluss zur Agri-Photovoltaik (PV) fassen. Dann wird man die Sache gemeinsam mit Bauernbund und Stakeholdern angehen, lautete die Botschaft bei einem Webinar der Bauernbund-Weiterbildung. Aber sachte!
Die rund 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer beim Webinar zur Agri-Photovoltaik sprechen eine deutliche Sprache: Bäuerinnen und Bauern wollen wissen, was sich bei dem Thema aktuell tut. Deshalb hat die Bauernbund-Weiterbildung diese Informationsveranstaltungorganisiert. Pascal Vullo von der Abteilung Innovation & Energie im Südtiroler Bauernbund erklärte zunächst, wieso der Fokus auf erneuerbare Energien und insbesondere auf Solarenergie gelegt wird: „Wetterextreme nehmen zu, die Klimakrise macht sich deutlich bemerkbar“, erklärte er. Europa will deshalb am Ziel von maximal 1,5 Grad Klimaerwärmung festhalten, deshalb geht es unter anderem weg von „schmutziger“ Energie. Bis 2030 ist die Vervierfachung der Solarenergie in den EU-27 geplant. Auch Südtirol hat ambitionierte Klimaziele: Laut Klimaplan des Landes will man hier bis 2040 Klimaneutralität erreichen. Waren es im Jahr 2023 rund 380 Megawatt (MW) Energieproduktion aus Photovoltaik, sollen bis ins Jahr 2037 weitere 800 MW dazukommen. Auch aus Agri-Photovoltaik.
Allerdings gibt es noch einige Fragezeichen, die in den nächsten Monaten geklärt und in den entsprechenden Beschluss der Landesregierung einfließen sollen. Vullo umriss den Rahmen, der bisher vereinbart wurde: In Italien sind drei Typen von Agri-Photovoltaik erlaubt, die Systeme werden „avanzato“, „interfilare“ und „verticale“ genannt. „Für Südtirol wird nur das System ,avanzato‘ oberhalb von Raumkulturen erlaubt sein“, meinte Pascal Vullo, der einräumte, dass es sich trotz allem um einen landschaftlich relevanten Eingriff handelt. Deshalb müsse abgeklärt werden, ob Agri-Photovoltaik gesellschaftlich Akzeptanz findet, auch innerhalb der Landwirtschaft gebe es Befürworter und Skeptiker. Es muss vermieden werden, dass die Paneele mit der landwirtschaftlichen Produktion in Konkurrenz treten. Auch rechtliche Aspekte und die Frage der Wirtschaftlichkeit solcher Anlagen können noch nicht zufriedenstellend beantwortet werden: Da bisher noch keine vergleichbaren kommerziellen Anlagen realisiert wurden, ist es kaum möglich, verlässliche Aussagen über die Wirtschaftlichkeit von Agri-Photovoltaik in Südtirol zu machen. In jedem Fall sind Investitions- und Betriebskosten von Agri-Photovoltaikanlagen höher als von gewöhnlichen, auf dem Boden montierten Anlagen. Befürchtet werden zudem negative Auswirkungen auf Pacht- und Grundstückspreise, die in Südtirol ohnehin schon hoch sind.
Die Chancen von Agri-Photovoltaik
Agri-Photovoltaik bietet aber auch Chancen: „Sie ist essenziell für das Erreichen der Klimaziele, garantiere eine Doppelnutzung ohne weiteren Flächenverbrauch und kann für die landwirtschaftliche Kultur darunter, sprich die Apfelproduktion, Synergieeffekte haben“, meinte Vullo: Denn die Paneele schützen vor Hagelschlag, Wind und Regen, die Abdrift von Pflanzenschutzmitteln wird gemindert, die Kulturen werden beschattet, also vor Sonnenbrand geschützt. Durch die gewonnene Energie kann sowohl die Bewässerung betrieben als auch ein Zusatzeinkommen erwirtschaftet werden. Zudem sei das Flächenpotenzial in Südtirol hoch, meinte Vullo, der einen weiteren Pluspunkt heraushob: „Agri-Photovoltaik leistet einen Beitrag für eine CO2-neutrale Landwirtschaft“, sagte er und unterstrich, „Agri-PV ist eine Chance, es braucht einige mutige Bäuerinnen und Bauern, die vorangehen.“ Auch landschaftliche Bedenken zerstreute Vullo: „Agri-Photovoltaik in der geplanten Form macht sich optisch ähnlich aus wie Hagelschutznetze.“ Zudem sei der Bedarf an Agri-PV nicht hoch: „Zusätzlich würden bis 2040 rund 550 Megawatt benötigt. Bei einer Flächenleistung von 500 bis 800 Kilowatt pro Hektar entspricht das 700 bis 1000 Hektar Obstbaufläche, also ,nur‘ vier bis sechs Prozent der Gesamtfläche“, rechnete der Energieexperte vor. Interessant sei Agri-Photovoltaik vor allem in der Nähe von Genossenschaften oder zur Nutzung in Energiegemeinschaften. Der Netzanschluss müsse allerdings einfach sein.
Zum Schluss legte Vullo die Position des Bauernbundes offen: So soll Photovoltaik auf Dächern gegenüber der auf landwirtschaftlichen Flächen erste Priorität behalten. Zudem spricht man sich für transparente, klare Kriterien aus, die landwirtschaftliche Produktion muss im Vordergrund bleiben. Und schließlich muss der Mehrwert in der Landwirtschaft bzw. in Südtirol bleiben.
Landwirtschaft im Vordergrund
Die gesetzlichen Rahmenrichtlinien besprach Hermann Stuppner von der Abteilung Betriebsberatung im Südtiroler Bauernbund: Auf Staatsebene wurden im letzten Jahr sogenannte „Aree idonee“ für Agri-Photovoltaik definiert, den Regionen und Autonomen Provinzen wurde deren Ausarbeitung überantwortet. Seit letztem Sommer nun wird in einer Arbeitsgruppe von Technikern und Beamten des Landes und Mitarbeitern des Südtiroler Bauernbundes daran gearbeitet, technische, rechtliche und landschaftliche Aspekte werden diskutiert: Der Entwurf, der sich noch in Ausarbeitung befindet, sieht vor, dass zumindest Obstbauflächen (Äpfel, Birnen, Marillen, Pflaumen) im Talboden der Etsch als „geeignet“ eingestuft werden. Ausgespart bleiben Weinbauflächen, bei Beerenobst ist man sich noch nicht sicher. Diskutiert wird noch über die an den Talboden angrenzenden Flächen – maximaler Höhenunterschied und maximale Hangneigung. Die Paneele dürften auf einer Höhe von mindestens 2,1 (Unterkante) und maximal 5,8 Metern (Oberkante) vom Boden angebracht werden, es müssen Abstände von Landschaftsgütern von herausragender landschaftlicher Bedeutung eingehalten werden. Auch muss sich die Fläche bereits seit mindestens fünf Jahren in obstbaulicher Nutzung befinden. Dadurch will man die bisherige landwirtschaftliche Ausrichtung sicherstellen und Spekulationen vorbeugen.
„Es braucht Rechtssicherheit“
Auch Landesrat Peter Brunner war Gast des Webinars. Er bekundete die volle Bereitschaft der Zusammenarbeit für die Definierung der Bestimmung: „In den nächsten Wochen müssen die Details geklärt werden, nur so können wir den Klimaplan einhalten“, sagte er und unterstrich: „Es müssen klare, aber einfache Richtlinien gefunden werden: Denn es braucht Rechtssicherheit und wenig Spielraum für Interpretationen!“ Die landschaftsrechtliche Genehmigung von Agri-Photovoltaikanlagen sei auf Gemeindeebene geplant. Einer der großen Knackpunkte sei die Einspeisung des Stroms ins Verteilernetz, vor allem, was die Kosten und die entsprechenden Genehmigungen anlangt. Ziel der Landesregierung sei, die Bestimmung um Jahresmitte zu genehmigen. „Dann werden wir die Sache gemeinsam – also im Verbund von Land, Gemeinden und Bauernbund – angehen, aber sachte!“