Pflanzen binden Kohlenstoff, entnehmen dafür Kohlendioxid aus der Luft. Das allein reicht aber noch nicht für Carbon Farming ...

Es geht um die Netto-C-Bindung

Wer zusätzlich zu üblichen landwirtschaftlichen Praktiken Kohlenstoffbindungsmaßnahmen umsetzt, betreibt Carbon Farming. Im Interview erklären Massimo Tagliavini und Damiano Zanotelli von der Uni Bozen, was genau damit gemeint ist. Und worin die Herausforderungen liegen.

Lesedauer: 10
Produktion

Was der Unterschied zwischen Kohlenstoffbindung (Sequestrierung) und -speicherung (Akkumulation) ist, erklären die beiden Professoren der Freien Universität Bozen, Massimo Tagliavini und Damiano Zanotelli im Interview mit dem „Südtiroler Landwirt“. Und sie klären darüber auf, wie in Obstanlagen echtes Carbon Farming betrieben werden kann: nämlich nur mit einem Zusatznutzen. Die gängigen landwirtschaftlichen Maßnahmen reichen dazu nicht aus.

Südtiroler Landwirt: Herr Zanotelli, Sie und Ihr Kollege Massimo Tagliavini haben sich eingehend mit dem CO2-Fußabdruck des Südtiroler Obstbaus und mit dem Thema Carbon Farming beschäftigt. Was genau versteht man unter Carbon Farming, vor allem in Bezug auf den Obstbau?
Damiano Zanotelli:
Der Begriff Carbon Farming bezieht sich auf landwirtschaftliche Maßnahmen, die einerseits einen Teil des Kohlendioxids in der Atmosphäre entfernen, das dank der Pflanzen als organischer Kohlenstoff im Boden oder in den Bäumen gebunden wird, und andererseits die Emission von Kohlendioxid und anderer Treibhausgase aus dem Boden (und aus der Tierhaltung) reduzieren. Carbon Farming ist eine Initiative der Europäischen Union, deren Umsetzung aber noch diskutiert wird und die ihren Ursprung im Pariser Klimaabkommen hat. Sie zielt darauf ab, den Klimawandel zu bremsen. Es gibt bereits eine vorläufige Vereinbarung, die Kriterien für Carbon Farming festlegt, um die Menge des gebundenen Kohlenstoffs (z. B. Tonnen an Kohlenstoff oder vielmehr an Kohlenstoff-Äquivalenten pro Hektar und Jahr) transparent und objektiv zu bewerten, und zwar abzüglich der ­Umweltkosten, die diese zusätzliche Praxis mit sich bringt: So wird z. B. im Fall von Einsaaten zwischen den Obstbaumreihen der Nutzen in Form von gebundenem Kohlenstoff berücksichtigt, abzüglich der Menge an Kohlenstoff, die durch Bodenbearbeitung und Aussaat freigesetzt wird. Es geht also um die Netto-Kohlenstoffbindung von Maßnahmen, die zusätzlich zu gängigen Praktiken umgesetzt werden, also keine Standardmaßnahmen, die bereits angewandt werden. Das ist ein springender Punkt.

Wie sieht nun die Situation in den Südtiroler Apfelanlagen in Bezug auf die Kohlenstoffflüsse aus?
Damiano Zanotelli:
Wir haben über zehn Jahre hinweg Erhebungen in einer Apfelanlage im Südtiroler Unterland gemacht, um konkrete Zahlen zu den Kohlenstoffflüssen zu erhalten. Die Anlage wurde begrünt und mit Tropfern bewässert. Über die Jahre konnten wir in dieser Anlage eine durchschnittliche Kohlenstoffbindung von etwa drei Tonnen CO2 pro Hektar und Jahr feststellen, das entspricht einem Großteil der Kohlendioxid-Emissionen, die durch die Bewirtschaftung der Apfelanlage entstanden sind, ein Nullsummenspiel also. Ein erheblicher Teil dieses gebundenen Kohlenstoffs ist im Stamm und in den groben Wurzeln der Bäume konzentriert. Das bedeutet, dass die langfristige Kohlenstoffbindung eines solchen Systems davon abhängt, ob Stamm und Wurzeln nach der Rodung in der Anlage bleiben oder nicht. Werden sie verbrannt, gelangt der gebundene Kohlenstoff als Kohlendioxid sofort wieder in die Atmosphäre. Um im Obstbau wirklich Carbon Farming zu betreiben, braucht es aber mehr als die gängigen Praktiken, wie sie in der von uns beobachteten Anlage umgesetzt wurden. Vielmehr muss nachweislich ein zusätzlicher Nutzen erbracht werden – in Bezug auf die Kohlenstoff-Sequestrierung oder die Kohlenstoff-Emissionen aus dem Boden.

Herr Tagliavini, was geschieht mit dem Kohlenstoff, der durch Carbon Farming im Boden festgesetzt werden könnte?
Massimo Tagliavini:
Um diese Frage richtig zu beantworten, möchte ich zunächst klar definieren, was „Sequestrierung“ (Bindung) und „Akkumulation“ (Speicherung) von Kohlenstoff im Boden bedeutet. Die beiden Begriffe werden oft synonym verwendet, dabei gibt es aber klare Unterschiede: „Sequestrierung“ bedeutet die Bindung von Kohlenstoff aus der Atmosphäre im Boden durch Pflanzenteile, ganze Pflanzen oder auch Organismen, während die „Akkumulation“ eine Zunahme (also Speicherung) der Kohlenstoff-Menge in einem bestimmten Bodenprofil im Laufe der Zeit beschreibt. Die Akkumulation kann auch ohne Pflanzen, die Kohlendioxid aus der Atmosphäre entnehmen, erfolgen. Carbon Farming aber bezieht sich allein auf die Sequestrierung von Kohlenstoff. Vereinfacht ausgedrückt, sind Anreicherung und Verlust von Kohlenstoff im Boden im Laufe der Zeit das Ergebnis zweier gegenläufiger Ströme: nämlich einerseits des Eintrags von neuem Kohlenstoff in den Boden durch Pflanzenteile, ganze Pflanzen oder organische Bodenverbesserer (z. B. Dung oder Kompost), die im Boden vergraben oder auf der Oberfläche belassen werden. Und andererseits wird Kohlenstoff durch Atmung an die Atmosphäre freigesetzt, hauptsächlich durch Mikroorganismen. Mit einigen landwirtschaftlichen Maßnahmen kann man versuchen, das Gleichgewicht zugunsten der Akkumulation, also der Anreicherung von Kohlenstoff im Boden, zu verschieben. Die eigentliche Herausforderung dabei besteht darin, den Kohlenstoff in den Boden zu bringen, ohne dass dadurch die Freisetzung des zuvor im Boden gespeicherten Kohlenstoffs angeregt wird, wodurch der Vorteil wieder zunichtegemacht oder zumindest gemindert wird.
Unter diesem Gesichtspunkt muss man sich darüber im Klaren sein, dass die Bodentextur und insbesondere der Tonanteil im Boden eine Schlüsselrolle bei der Bindung des organischen Kohlenstoffs im Boden spielen, indem sie vor Zersetzung schützen. Böden mit geringem Tongehalt, wie sie im Südtiroler Obst- und Weinbau häufig vorkommen, sind weniger dafür geeignet, Kohlenstoff über längere Zeit im Boden zu speichern. Das Speicherpotenzial der Böden ist nach neueren Studien aber größer als bisher angenommen und oft durch die relativ geringen Mengen an Biomasse, die in den Boden eingebracht werden, begrenzt. Ein recht realistisches Ziel für Maßnahmen zur Speicherung von Kohlenstoff im Boden ist ein Verhältnis von organischer Substanz zu Ton von mehr als acht bzw. zehn in den bearbeiteten Bodenbereichen und in der Fahrgasse.

Wie können Obst- und Weinbauern Kohlenstoff im Boden binden oder speichern?
Massimo Tagliavini:
Der Anbau ausgewählter Gräser zwischen den Reihen ist wahrscheinlich die am besten untersuchte Methode zur Bindung von atmosphärischem Kohlenstoff und dessen Speicherung im Boden. Manchmal kann jedoch die Bearbeitung des Bodens für die Aussaat und das Einbringen der frischen organischen Substanz am Ende des Vegetationszyklus den Humusabbau fördern. Im Allgemeinen ist die Einsaat tief wurzelnder krautiger Pflanzen, z. B. einiger Leguminosen, in den Anlagen positiv zu bewerten. Sie bringen nämlich Kohlenstoff in tiefere Schichten (z. B. zwischen 60 und 90 cm Tiefe) ein, wo das Akkumulationspotenzial höher ist als in den oberen Schichten.
Den Obst- und Weinbauern stehen aber auch noch andere Möglichkeiten zur Akkumulation von Kohlenstoff im Boden zur Verfügung:
z. B. können organische Bodenverbesserer ein­gebracht werden, die sowohl den Gehalt an organischem Bodenkohlenstoff als auch die Verweildauer von Kohlenstoff im Boden direkt erhöhen. Organische Bodenverbesserer verhalten sich im Boden unterschiedlich, je nach chemischer Zusammensetzung des verwendeten organischen Materials und seiner Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Abbau. Komposte haben im Allgemeinen eine längere durchschnittliche Verweilzeit als nicht kompostiertes organisches Material, Biokohle hat sogar eine viel längere Verweilzeit als andere organische Materie.

Herr Zanotelli, welche Vorteile hat Carbon Farming für unsere Obstanlagen? Und welche Risiken gilt es zu beachten?
Damiano Zanotelli:
Carbon Farming bringt neben der Kohlenstoffspeicherung einige weitere Vorteile, z. B. für die biologische Vielfalt, den Erosionsschutz, die Bodengesundheit und die Wasserspeicherkapazität des Bodens. Der Anbau krautiger Pflanzen in Obst- und Weingärten kann aber in den ersten Jahren auch das Risiko einer Konkurrenz mit den Bäumen/Reben um Wasser, Nährstoffe und Bodenraum mit sich bringen.

Massimo Tagliavini: „Carbon Farming bezieht sich auf die Sequestrierung von Kohlenstoff.“

Damiano Zanotelli: „Für Carbon Farming braucht es mehr als die gängigen Praktiken.“

Interview: Renate Anna Rubner

Weitere Artikel zu diesem Thema