Der Kalterer See und der Große Kalterer Graben sind (noch) Teil des Bewässerungssystems. Das Projekt See3 soll ihn nun entlasten.

Ein ausgeklügeltes System

Das Bodenverbesserungskonsortium II. Grades Kaltern will mit dem Projekt See3 870 Hektar Fläche über Speicherbecken bewässern. Aber das Projekt kann viel mehr: Es schützt vor Überschwemmung, liefert ­Löschwasser und entlastet das sensible Ökosystem Kalterer See.

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Produktion Wirtschaft

Es regnet. An die vierzig Millimeter fallen an dem Tag Mitte Mai, als sich der „Südtiroler Landwirt“ mit Günther Gallmetzer trifft. Der Präsident des Bodenverbesserungskonsortiums II. Grades „Kaltern an der Weinstraße“ (BKW II. Grades) weiß: „Dieses niederschlagsreiche Frühjahr darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Wasser durch den Klimawandel immer knapper wird.“ Auf regenreiche Phasen und Starkregenereignisse mit Überflutungen, Erosion und Muren folgen oft lange Trockenperioden, die (nicht nur) die Landwirtschaft vor große Herausforderungen stellt. Ohne Bewässerung sind Obst- und Weinbau kaum noch möglich. „Trockene Sommer gibt es inzwischen alle drei bis vier Jahre, der Sommer 2022 dürfte wohl noch allen gut in Erinnerung sein“, erklärt Gallmetzer, aber auch 2017 und 2013 waren sehr trocken.
Erschwerend hinzu kommt, dass das Über­etsch als ausgewiesenes Trockengebiet gilt. Das haben Studien ergeben, die bereits Anfang der 1990er-Jahre ausgearbeitet wurden. Das gab damals bereits den Anstoß dafür, die gesamte Bewässerung der landwirtschaftlichen Flächen im Gemeindegebiet Kaltern von Überkron- auf Tropfbewässerung umzustellen. Ein innovatives Projekt, das zukunftsweisend war und eine Wasserersparnis von rund
2000 Kubikmeter pro Hektar und Jahr gebracht hat.

Erstes Teilprojekt: die Digitalisierung
Die Anlagen wurden in diesem Zuge teils bereits automatisiert, allerdings noch per Kabel. Zurzeit ist man dabei, den zweiten Schritt zu machen, dem ein dritter folgen soll: Mit dem Projekt See3 hat das Bodenverbesserungskonsortium II. Grades ein Gesamtkonzept ausarbeiten lassen, das nicht nur die gesamte Obst- und Weinbaufläche im Gemeindegebiet von Kaltern und dem nördlichen Teil von Tramin über Sensoren, Umsetzer und Regeltechnik vollautomatisch bewässert, sondern zudem Regenwasser speichert und fast ohne Pumpenleistung für die Bewässerung landwirtschaftlicher und öffentlicher Grünflächen und für Löschwasser zur Verfügung stellt.

Zusammenschluss von 19 Konsortien
Aber der Reihe nach: Das Bodenverbesserungskonsortium II. Grades „Kaltern an der Weinstraße“ ist der Zusammenschluss von 19 Bodenverbesserungskonsortien: Davon liegen zwei im Gemeindegebiet von Tramin (Söll und Prutznei), die restlichen im Gemeindegebiet von Kaltern. Das Konsortium wurde 2021 gegründet und hat 1500 Mitglieder mit 870 Hektar landwirtschaftlicher Fläche, Obst- und Weinbau. Ziel des Bodenverbesserungskonsortiums II. Grades ist „die Errichtung von Regenwasserspeicherbecken zur Hortung von Wasser für Zivilzwecke und für die künstliche Bewässerung der gesamten Mitgliedsflächen und dadurch die Wasserqualität des Kalterer Sees und des Großen Kalterer Grabens zu verbessern“, heißt es auf der Landingpage des Konsortiums.
Zu diesem Zweck wurde zunächst das gesamte Gebiet mit Sensoren ausgestattet, die die Bodenfeuchte messen. Die so gewonnenen Daten werden über Funk weitergeleitet und gemeinsam mit den Daten der beiden Wetterstationen gesammelt, sodass die Bewässerungswarte entscheiden können, ob und wo bewässert werden muss oder nicht.
„Eigentlich hätte die Automatisierung erst in einem zweiten Moment umgesetzt werden sollen“, erklärt Günther Gallmetzer. „Allerdings konnten wir uns dafür 2,5 Millionen Euro über den Nationalen Wiederaufbauplan PNRR sichern, diese Gelder wollten wir uns nicht entgehen lassen.“ Da man befürchtete, dass die Finanzierung über diese Schiene auslaufen könnte, bevor das eigentliche Projekt, nämlich das der Speicherbecken, umgesetzt werden kann, zog man das Ganze von hinten auf.

Speicherbecken zur Entlastung des Ökosystems Kalterer See
Denn das Projekt der Speicherbecken ist deutlich aufwändiger und braucht noch Zeit. Dabei gäbe es Gründe genug, um es rasch umzusetzen. Derzeit werden nämlich gut ein Drittel der landwirtschaftlichen Flächen von Kaltern entweder direkt aus dem Kalterer See und dem Großen Kalterer Graben oder über Tiefbrunnen versorgt. Weitere 500 Hektar Kulturfläche nördlich der Gemeinde werden über weitere Tiefbrunnen und Wasserableitungen von Bächen bewässert. Der Kalterer See aber ist ein sensibles Ökosystem, sowohl die Entnahme von Wasser in Trockenperioden als auch der starke Eintrag von verschlämmtem Wasser bei Starkregen bringen sein Gleichgewicht ins Wanken. Zudem muss das Wasser gepumpt werden, das verbraucht Energie. Dazu kommt der ideelle Wert des Sees: Denn für die Kalterer ist „ihr“ See mehr als ein Wasserreservoir, ein Naherholungsgebiet oder eine ökologische Insel. Er prägt die Landschaft und die Menschen, die hier leben. Deshalb liegt ihnen seine Gesundheit am Herzen.
So ist ein Projekt entstanden, das den See nachhaltig entlasten soll. Künftig soll kein Wasser mehr vom See oder dem Großen Kalterer Graben mehr bezogen werden, lautet die Mission des Bodenverbesserungskonsortiums II. Grades. Die zündende Idee dafür kam von Romano Comunello. Der Ingenieur hat einen ausgeklügelten Plan ausgearbeitet, mit dem die gesamte landwirtschaftliche Fläche über künstliche Regenwasserreservoirs bewässert werden kann. Dazu sind insgesamt sechs Speicherbecken vorgesehen: drei kleinere unterirdische und drei große oberirdische. Alle gemeinsam sollen ein Fassungsvermögen von 340.000 Kubikmeter haben, genug um die gesamte landwirtschaftliche Fläche zu versorgen und eine lang anhaltende Trockenperiode im Sommer zu überbrücken.

System fast ohne Pumpleistung
Die geplanten Becken sind so positioniert, dass das Regenwasser fast ohne Pumpleistung dorthin gelangt und das Wasser von dort – ebenfalls durch Naturdruck – kapillar bis in die letzte Anlage geleitet werden kann. Das Leitungsnetz dafür ist vorhanden, nur die Becken und die Ringleitung müssen noch gebaut werden. Gerade dagegen regt sich jetzt aber Widerstand: Eine kleine Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern wehrt sich laut gegen den Bau der oberirdischen Becken. Sie befürchten eine Verschandelung der Landschaft und den Verlust wertvoller Waldfläche. Denn zwei der großen Becken sind im Altenburger und eines im Montiggler Wald geplant.

Ein System mit vielen Vorteilen
Günther Gallmetzer kann die Polemik indes nicht nachvollziehen. Er weiß: Das geplante System ist so austariert, dass es fast ausschließlich mit Naturdruck arbeitet. Damit wird viel Energie und einiges an Wasser eingespart. Auch wird während der Bauphase zwar insgesamt eine Fläche von rund acht Hektar beansprucht, etwa die Hälfte davon wird im Anschluss daran wieder renaturiert, das bedeutet angepflanzt. Ebenfalls positiv dürfte sich auswirken, dass das Aushubmaterial für die Speicherbecken zur Gänze vor Ort, also im Wald bleibt: Das entlastet das Dorf, weil keine Lkw Material abtransportieren müssen, und garantiert zusätzlich, dass sich die natürliche Flora und Fauna in kürzester Zeit wieder einpendeln wird. Auch über das Landschaftsbild hat man sich Gedanken gemacht: Die Becken werden mit dunkler Folie ausgelegt, die Ufer flach gehalten und mit Schotter aufgefüllt. So passen sie sich bestmöglich der Umgebung an. Eine Umzäunung wird als Schutz angebracht. „Natürlich ist so ein See nicht im klassischen Sinne schön“, gibt Gallmetzer unumwunden zu. „Aber das Projekt ist ein großer Mehrwert für die Bevölkerung, da kann man schon kleine Abstriche machen“, meint er.

Reservoirs auch für Löschwasser
So hat sich das Konsortium von sich aus dazu bereit erklärt, den durch die Speicherbecken „verlorengegangenen“ Wald der Gemeinde doppelt zurückzugeben. Wie bereits der bestehende Wald wird auch diese Fläche den Bürgern zur Holznutzung zur Verfügung gestellt. Das Wasser kommt nicht nur den Bäuerinnen und Bauern zugute, auch das öffentliche Grün soll damit bewässert werden können. Und als Löschwasserreservoirs werden die Becken ebenfalls genutzt, mindestens 15.000 Kubikmeter des gesamten Fassungsvermögens sind für den Zivilschutz vorgesehen und können über die Hydranten im Dorf angezapft werden. Ein Hubschrauberlandeplatz soll dafür sorgen, dass bei Waldbränden Wasser gefasst werden kann, um das Ökosystem Wald und nicht zuletzt die Bevölkerung zu schützen. Ein großer Vorteil für die Bevölkerung besteht auch darin, dass das Oberflächenwasser, das in Kaltern bei Regen anfällt, künftig nicht mehr über die Schwarzwasserleitung in die Kläranlage eingebracht wird. Das ist bislang nämlich so und sorgt damit für deutliche Mehrkosten bei den Kalterer Bürgerinnen und Bürgern. Es stört aber auch die Funktionalität der Kläranlage erheblich.

Ökologisch und ökonomisch sinnvoll
Weil das Projekt also auf vielen Ebenen nur Vorteile bringt – ökonomische wie ökologische – wurde es vom Amt für Gewässernutzung top bewertet. Dazu kommt, dass der Kalterer See über den Kalterer Graben in die Etsch entwässert und diese von nationalem Interesse ist. Für manche oberitalienische Gemeinden wird daraus sogar Trinkwasser bezogen. Alles, was das Wasservolumen der Etsch schont, wird deshalb prioritär behandelt. Entsprechend wurde See³ in der Reihung der vom „Piano Invasi“ geförderten Projekte an erster Stelle gereiht. Das heißt konkret, dass es in der bestehenden Form zu 100 Prozent finanziert wird. Als Investitionssumme wurden 36 Millionen Euro veranschlagt, Mehrwertsteuer inklusive. „Das ist ein intelligentes, wassersparendes Modell, das für alle Vorteile hat und zudem bis auf den letzten Cent finanziert wird“, unterstreicht Gallmetzer. Und Romano Comunello unterstreicht: „Die Becken sind in geologisch und hydrologisch unbedenklicher Lage geplant, die Standorte unterliegen keinem Schutzstatus. Wird nun an den Standorten herumgeschraubt, muss das gesamte Projekt neu austariert werden.“ Eine Aufgabe, die ihm ohnehin blüht: Denn eines der Speicherbecken erregt besonderen Widerstand, weil es laut ursprünglichem Plan nahe der Rastenbachklamm und des Friedensweges liegen soll. Nun muss ein neuer Standort dafür gefunden und das gesamte Projekt entsprechend angepasst werden. Kein einfaches Unterfangen.

Noch viele bürokratische Hürden
Den ganzen Bericht finden Sie ab Freitag in der Ausgabe 10 des „Südtiroler Landwirt“ vom 24. Mai ab Seite 33, online auf „meinSBB“ oder in der „Südtiroler Landwirt“-App.

Renate Anna Rubner

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