Spannende Inputs lieferten die Referenten bei der 31. Internationalen Almwirtschaftstagung in Brixen.

„Brauchen weiterhin ­bewirtschaftete Almen“

Die Almwirtschaft ist nicht nur für die Berglandwirtschaft, sondern für die gesamte Gesellschaft von großer Bedeutung. Doch die traditionelle Alpung steht immer mehr unter Druck. Das wurde auch bei der 31. Internationalen Almwirtschaftstagung in Brixen deutlich.

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Über 300 Bäuerinnen und Bauern sowie Fachleute diskutierten in Brixen über die Herausforderungen und die Zukunft der Almwirtschaft. Neben der Tiergesundheit und dem Weidemanagement stand besonders das Großraubwild im Fokus. Einmal mehr wurde ein Raubtiermanagement mit der Möglichkeit von Entnahmen gefordert, um die Zukunft der traditionellen Almwirtschaft zu sichern. Seit Jahrhunderten bringen Bäuerinnen und Bauern ihre Tiere im Sommer auf die Alm. Daniel Gasser, der Landesobmann des Südtiroler Bauernbundes, erinnerte an den hohen Nutzen der Alpung: „Sie sorgt für den Erhalt einer einmaligen Kulturlandschaft, dient dem Tierwohl und ist eine Arbeitserleichterung für die bäuerliche Familie, die im Sommer das Futter am Hof einbringen muss. Zudem sorgt sie für eine hohe Artenvielfalt und eine große Biodiversität. Daher brauchen wir auch in Zukunft flächendeckend bewirtschaftete Almen!“ Die Almwirtschaft mit ihrer landschaftlichen und kulturellen Bedeutung sei ein wertvolles Erbe, das es zu bewahren gelte, betonte auch Landwirtschaftslandesrat Luis Walcher bei der Almwirtschaftstagung. Eine Bedrohung für das Vieh sei der Wolf: „Langfristiges Ziel muss das Herabsenken des Schutzstatus auf EU-Ebene sein. Bis dahin müssen wir mit dem Einsatz aller gezielte Entnahmen auf Landesebene ermöglichen“, sagte Walcher.
Auch das Aufgeben vieler Milchbauern beeinträchtige die Almwirtschaft und die Milchproduktion langfristig. „Nur wenn die Bedingungen stimmen, können die Bauern die traditionelle Almwirtschaft weiterführen und damit die Landschaft pflegen. Das kommt den Erholung suchenden Einheimischen und den Urlaubsgästen zugute“, unterstrich Walcher. Doch die Herausforderungen für die Almbäuerinnen und -bauern nehmen überall zu, hieß es auf der 31. Almwirtschaftstagung. Während in italienischen Regionen wie etwa Friaul–Julisch-Venetien die Zahl der aktiven Almen und der gealpten Rinder in den letzten Jahren teils dramatisch zurückgegangen ist, ist die Situation in Südtirol glücklicherweise noch eine andere. Auf 1400 von 1700 Almen wird mindestens eine Großvieheinheit gealpt, berichtete Lothar Gerstgrasser vom Amt für Bergwirtschaft. Rückläufig sei aber auch in Südtirol die Zahl der gealpten Rinder und Schafe. Bei den Ziegen hingegen gebe es einen Aufwärtstrend. Ein Grund für die bessere Situation in Südtirol sind auch die Förderungen. Seit 2010 wurden über 500 Projekte umgesetzt. Allein 2023 gab es 64 Beitragsansuchen im Ausmaß von elf Millionen Euro.

Großraubwild ist großes Problem
Ein Problem auf vielen Almen ist das Großraubwild. Wie unterschiedlich die Staaten das Wolfsmanagement angehen, zeigte der Geschäftsführer des Südtiroler Jagdverbandes, Benedikt Terzer, auf: „Obwohl Italien mit 3300 Wölfen das EU-Land mit den meisten Raubtieren ist, gab es bislang keinen einzigen legalen Abschuss.“ Dabei würde der europäische Rechtsrahmen Abschüsse unter bestimmten Bedingungen ausdrücklich erlauben, betonte Terzer. Er plädierte für einen pragmatischen Zugang zum Wolfsproblem: „Wir brauchen eine Regulierung mit Möglichkeiten zur Begrenzung der Wolfsbestände und der Abschüsse von Tieren“, forderte Terzer.
Bauernbund-Landesobmann Gasser appellierte an alle Verantwortlichen, der Entwicklung beim Großraubwild nicht freien Lauf zu lassen. „Wir brauchen Entnahmen, damit Wölfe und Bären scheu gehalten werden – zum Schutz der ländlichen Bevölkerung und unserer Nutztiere.“ In seinen Grußworten forderte auch EU-Parlamentarier Herbert Dorfmann, dass ein Management bei Wolf und Bär, so wie bei jeder anderen Wildtierart, möglich sein muss. Auf EU-Ebene brauche es eine Überarbeitung des strengen Schutzstatus des Wolfes, da diese Art schon lange nicht mehr vom Aussterben bedroht sei.

Hochkarätige Podiumsdiskussion
Der Umgang mit dem Großraubwild war auch zentrales Thema der Podiumsdiskussion bei der 31. Almwirtschaftstagung. An der Gesprächsrunde beteiligten sich neben Jagdverband-Geschäftsführer Terzer der Berg­bauernvertreter im Südtiroler Bauernbund, Alberich Hofer, der Bundesobmann der Almwirtschaft Österreich, Sepp Obweger, der Geschäftsführer des Österreichzentrums Bär, Wolf, Luchs, Albin Blaschka, und der Direktor des Trentiner Wildtierdienstes, Alessandro Brugnoli.

Kriterienkatalog zum ­Herdenschutz
Einen Kriterienkatalog zum Herdenschutz stellte Thomas Zanon von der Agrarfakultät der Freien Universität Bozen vor: „Der Kriterienkatalog ermöglicht eine objektive Bewertung, ob ein Herdenschutz auf einer Alm zumutbar ist“, erklärte Zanon. Gänzlich unmöglich sei in Südtirol die ständige Behirtung. „Zum einen haben wir gar nicht das dafür nötige Personal, zum anderen wären die Kosten viel zu hoch“, betonte Zanon. Laut österreichischen Studien koste der Herdenschutz zwischen 150 und 550 Euro je Großvieheinheit. „Auf Südtirol bezogen wären das zwischen 5,3 Millionen und 19,3 Millionen Euro pro Jahr“, rechnete Zanon vor, der die Frage nach der Finanzierbarkeit des Herdenschutzes stellte. Auch das Aufstellen von Zäunen ist auf den allermeisten Almen kaum möglich, allein schon wegen des felsigen Untergrunds.

Weidemanagement anpassen
Neben dem Großraubwild stand das Weidemanagement im Mittelpunkt der Tagung. Eine der größten Herausforderungen für die viehhaltenden Betriebe ist der fortschreitende Klimawandel, unterstrich Siegfried Steinberger von der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft. „Aufgrund des Klimawandels werden wir die Almbewirtschaftung an das magische Dreieck anpassen müssen. Damit ist eine höhere Tierzahl, ein früherer Auftrieb und eine gelenkte Weideführung gemeint“ (siehe auch eigenes Interview Ausgabe 13 auf Seite 6).
Eine weitere Herausforderung ist es, geeignetes Almpersonal zu finden. Sandra Contzen von der Berner Fachhochschule hat auf der 31. Almwirtschaftstagung eine Umfrage zur Attraktivität der Arbeit auf der Alm vorgestellt.

Schweiz: Bildungsniveau bei Almpersonal hoch
Wichtig seien neben geeigneten Strukturen wie zeitgemäßen Almhütten gute Arbeitsbedingungen, faire Anstellungsverhältnisse und eine verantwortungsvolle und abwechslungsreiche Arbeit. Auffallend ist, dass in der Schweiz 60 Prozent des Alppersonals eine Oberschule oder eine Universität besucht haben. Wie wichtig die Alpung für die Tiergesundheit ist, unterstrich Johannes Khol von der VetMedUni Wien: „Auf der Alm sind die Tiere in Bewegung und stärken das Sozialverhalten. Zudem sind die Gräser auf der Alm sehr gesund. Die kühleren Temperaturen auf den Almen im Sommer sorgen zudem für mehr Wohlbefinden.“

Unterschiede bei Rinderrassen
Dass Alm nicht gleich Alm ist und sich Rinderrassen unterschiedlich auf die Beweidung auswirken, erklärten Caren Pauler und Manuel Schneider von Agroscope Schweiz. Sie haben im Rahmen eines Weideexperiments die Bewegungsmuster, das Fressverhalten, die Raumnutzung und die Trittempfindlichkeit untersucht. Dabei stellten sie fest, dass extensive Rinderrassen wie Hochlandrinder weniger anspruchsvoll sind, was das Futter betrifft, während produktive Rinderrassen sich das beste Futter suchen und dafür weitere Wege gehen. Auch nutzen extensive Rinderrassen die Alm gleichmäßiger, was der Artenvielfalt und der Biodiversität zugutekommt. Daher empfahlen Pauler und Schneider ein standortangepasstes Weidemanagement auch bei den Tieren. Für extensive Weideflächen eignen sich extensive Rassen besonders gut. Über die botanische Zusammensetzung von Almen, die von Schafen beweidet werden, hat Maria Wild von der Universität Göttingen berichtet.

Almen vor Ort ­kennengelernt
Am zweiten Tag der Internationalen Almwirtschaftstagung standen die Almexkursionen auf dem Programm. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer lernten die Realität auf der Fanealm in Vals, der Kofelalm in Villnöß, der Vallmingalm in Sterzing, der Rittner Alm am Ritten und der Astnerbergalm in Terenten kennen.

Michael Deltedesco

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