Gerichte mit alten Apfelsorten wurden von den Köchen der Gruppe „Südtiroler Gasthaus“ kreiert.

Alte Apfelsorten, kulinarisch veredelt

Das Versuchszentrum Laimburg hat in seiner Genbank 120 heimische alte Apfelsorten. Um einigen von ihnen neues Leben einzuhauchen, wurden sie an die Gruppe „Südtiroler Gasthaus“ weitergegeben. Die Gastbetriebe haben besondere Rezepte damit kreiert.

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Leben

Alte, lokale Apfelsorten wie Gravensteiner, Kalterer Böhmer, Spitzlederer und Weißer Winterkalvill sind der bäuerlichen und vor allem älteren Bevölkerung noch ein Begriff. Bei Bozner Apfel, Brixner Plattling, Lananer Süßling, Weißem Rosmarin, Prinz Albrecht von Preußen und anderen Apfelsorten, die heute da und dort noch im Hausgarten und auf Streuobstwiesen stehen, wird es schon schwieriger. Vor zwei Jahrzehnten wurden im Rahmen des Interreg-III-A-Projekts zwischen Nord- und Südtirol lokale, alte Apfelsorten, die im Großraum Tirol standen, gesammelt und mit den Projektpartnern pomologisch und molekularbiologisch charakterisiert. Als Ergebnis stehen seitdem über 120 alte, heimische (lokale) Apfelsorten auf der schwachwachsenden Unterlage M9 veredelt in der sogenannten „Genbank“ am Versuchszentrum Laimburg.

Alten Sorten neues Leben einhauchen
Diese Sammlung sollte nicht als Museum dienen, sondern aktiv mit Tätigkeiten, Projekten und Inhalten belebt werden. Für Interessierte werden Kleinstmengen an sortenechtem und gesundem Vermehrungsmaterial ausgegeben. Für Sortenausstellungen und Aktionen stehen bei Anfrage Fruchtmuster zur Verfügung. In separaten Sammlungen werden die Altsorten auf ihre Robustheit gegenüber Krankheiten geprüft.Im Projekt POMOSANO wurden sie auf ihre Eignung zur Saftherstellung untersucht und im hauseigenen Laimburger Züchtungsprogramm wurden einige bereits als Elternsorten verwendet, um aus Altem etwas Neues zu entwickeln. Nicht zuletzt wurde auch die Zusammenarbeit mit der lokalen Gastronomie gepflegt: Teilergebnisse eines Projektes mit Köchen der Gruppe „Südtiroler Gasthaus“ werden im Folgenden beleuchtet.

31 Sorten, 36 Gasthäuser
Im Jahr 2012 haben sich auf Initiative von Sternekoch Herbert Hintner 36 Gastbetriebe zur Gruppe „Südtiroler Gasthaus“ zusammengeschlossen. Sie laden unter anderem Einheimische und Gäste im Herbst alljährlich zu einem kulinarischen Erntedank ein. Im Biennium 2020/21 wurden von den Köchen kulinarische Köstlichkeiten mit alten, heimischen Südtiroler Apfelsorten kreiert. 31 verschiedene Apfelsorten aus der genannten Genbank wurden dabei vom Versuchszentrum Laimburg den 36 Mitgliedern der Gruppe „Südtiroler Gasthaus“ zur Verfügung gestellt. Ziel des Projekts war es, alte, heimische und zum Teil vergessene Apfelsorten durch die Kreativität der Köche in Erinnerung zu rufen und die Öffentlichkeit dafür zu sensibilisieren. Das Projekt fand großen Anklang.

Der Brixner Plattling
Die  Eltersorten des Brixner Plattling sind unbekannt. Molekularbiologische Untersuchungen am Versuchszentrum Laimburg haben gezeigt, dass es sich um die Sorte Haslinger handelt, die aus dem südwestlichen Ungarn stammt. Marx Sittich von Wolkenstein benennt in seiner „Landesbeschreibung von Südtirol“, die er um 1600 verfasst hat, bereits mehrere Apfel- und Birnensorten. Dabei hebt er die Fruchtbarkeit des Bistums Brixen hervor. Darunter ist auch der Namen Plattlinger zu finden, welcher Mitte des 18. Jahrhunderts in der „Pelzschule“ zu finden ist und um das Jahr 1920 noch immer im Eisacktal angebaut wurde. Die Sorte Brixner Plattling erreicht einen mittleren Ertrag, neigt zu Alternanz und ein wenig zu Vorerntefruchtfall. Der Ernte­zeitpunkt liegt um den der Sorte Golden Delicious bis zu zwei Wochen später, d. h., in den Tallagen des Etschtales wird er Mitte bis Ende September geerntet. Die Frucht des Brixner Plattling ist groß und die Form abgeplattet. Die Grundfarbe ist grün und die Deckfarbe leicht rosa verwaschen. Der Deckfarbenanteil liegt um ca. 50 Prozent. Die Frucht weist eine leichte Berostung auf.
Im Gasthaus Sunnegg in Brixen hat man für das Projekt einen Rohnen-Risotto mit Blauschimmelkäse und Kompott vom Brixner Plattling kreiert: „Wir waren recht zufrieden mit der Apfelsorte. Anfangs, nachdem wir ihn am Versuchszentrum Laimburg abgeholt hatten, war der Apfel noch nicht besonders gut, sehr sauer und unreif. Rund drei Wochen später aber veränderte er sich und wurde süßer und ist nachgereift. Der Brixner Plattling oxidiert stark und ist festkochend, d. h., er behält seine Struktur, nicht wie eine Kanada-Renette. Als Füllung für Strudel war der Plattling nicht so ideal, weil er sich stark verfärbt. Für Apfelmus, Marmelade und Kompott ist er aber gut geeignet. Die Äpfel wurden mit fortlaufender Lagerung immer besser und sind relativ gut haltbar“, sagt Familie Thaler vom Gasthaus Sunnegg.

Der Kalterer Böhmer
Die Sorte Kalterer Böhmer ist ein Zufallssämling, vermutlich ein Sämling der Sorte Böhmer. Der Name Böhmer scheint zu beweisen, dass die Apfelsorten Wilder Böhmer und Edelböhmer aus Böhmen, dem heutigen Tschechien, stammen. Dies ist wahrscheinlich bereits im 14. Jahrhundert geschehen, da der böhmische Königssohn Johann mit der Erbin von Tirol, Margareta von Maultasch, verehelicht war. Diese Apfelsorten wurden nachweislich in Kaltern und Gmund, zwischen Auer und Tramin liegend, angepflanzt und wahrscheinlich hat sich daraus ein spontaner Sämling oder eine Mutation entwickelt. Es waren nur vier Bäume gepflanzt: zwei in Gmund, die dem Bau der Eisenbahn Mitte des 19. Jahrhunderts zum Opfer gefallen sind, und zwei am Kalterer See, auf feuchtem Moosboden. Diese waren auffallend röter und einladender als ihre Vorgänger. Die Sorte Kalterer Böhmer schien erstmals 1856 im Angebot der Vereinsbaumschule unter 192 (!) weiteren Apfelsorten auf. Damit ist der Kalterer Böhmer als eigenständige Sorte bereits über 165 Jahre alt.
Erst im Jahr 1958, 100 Jahre nach seiner Entdeckung, erlebte der Kalterer Böhmer mit 8000 Waggons (à 10 t) Jahresproduktion mengenmäßig seinen Höhepunkt.  Er ist eine jener Sorten, die maßgeblich zum Aufschwung des Südtiroler Obstbaus im 19. Jahrhundert beigetragen hat. Im Jahr 1929 erreichte der Kalterer Böhmer einen Mengenanteil von 28 Prozent und war bis in die 1950er-Jahre eine der Hauptsorten in Südtirol bevor er dann ziemlich rasch wieder abtreten musste. Neben dem Kalterer Böhmer gibt es noch den Edelböhmer und Lananer Böhmer, die in geringerem Ausmaß angebaut wurden. Der Kalterer Böhmer ist im italienischen Raum auch unter den Synonymen Mantuaner, Apfel aus Mantua oder Rosa Mantovana bekannt. Die Ertragsleistung vom Kalterer Böhmer ist eher gering, da er zu Alternanz neigt. Er ist aber nicht besonders anfällig für Vorerntefruchtfall. Die Ernte erfolgt im Vergleich zu der in Südtirol noch vorherrschenden Sorte Golden Delicious bis zu zwei Wochen später und wird in den Tallagen zwischen Mitte und Ende September geerntet. Der Kalterer Böhmer kann mindestens zwei Monate ohne größere Einbußen bei Geschmack und Festigkeit im Kühllager bei 1,5 °C gelagert werden. Die Frucht vom Kalterer Böhmer ist klein, abgeplattet und kugelförmig, die Deckfarbe rot, gestreift bis verwaschen auf grüngelber Grundfarbe. Das Fruchtfleisch schmeckt süß-säuerlich und hat eine gute Festigkeit.
Das Gasthaus Schaurhof in Ried bei Sterzing hat für das Projekt Hirschbraten mit Kalterer-Böhmer-Rotweinpüree kreiert: „Der Geschmack des Kalterer Böhmer ist toll. Die Sorte hat eine feine Säure. Die Zubereitung sollte nach dem Aufschneiden aber relativ schnell gehen, da das Fruchtfleisch sich ziemlich schnell braun verfärbt. Wegen seiner etwas dickeren Schale wurden die Apfelscheiben für das Verkochen dünn geschnitten oder zum Teil geschält“, sagt Familie Steurer vom Schaurhof.

Weißer Rosmarin
Die Sorte Weißer Rosmarin ist ein Zufallssämling und es ist nicht bekannt, wer die Elternsorten sind. Entstanden ist der Weiße Rosmarin in der Gegend um Bozen, er wurde ab Ende des 18. Jahrhunderts angebaut. Die erste überlieferte, handschriftliche Obstbaumzählung unseres Landes stammt aus dem Jahr 1755. Darin sind 14 Apfelsorten genannt, unter anderem die Sorte Weißer Rosmarin. Der Maiser Pfarrer und Obstbauexperte Casimir Schnitzer schreibt um 1823 über die Meraner Gegend: „Fast jeder Hof oder jedes größere Bauerngut hat einen Einfang mit Obstbäumen besetzt. Besonders die Maschanzger und der Weiße Rosmarin-Apfel sind von vortrefflicher Qualität und werden in guten Jahren nach München, Wien, selbst in Russland verführt.“ Dies, wohlgemerkt, im Jahre 1823 – nahezu ein halbes Jahrhundert bevor die Eisenbahn über den Brenner dampfte. Im Jahr 1856 erreichte die Sorte Weißer Rosmarin mit 20 Prozent den höchsten Anteil der im Angebot der Baumschulen befindlichen Bäume. 1884 schreibt Rudolf Stoll in seiner „Österreichisch-Ungarischen Pomologie“, dass der Weiße Rosmarin in großen Mengen in den Delikatessenläden der europäischen Großstädte, namentlich St. Petersburg, zu finden ist und eine sehr gesuchte und teuer bezahlte Frucht war, der man sogar „wirksame, heilkräftige, alternde Lebemänner auffrischende“ Eigenschaften nachsagte. Es war der nachweislich einträglichste Apfel unter den damals angebauten Apfelsorten.
In Südtirol war die Sorte Weißer Rosmarin um 1900 weit verbreitet und galt damals auch als wichtige Handelssorte. Im Jahr 1929 war der Weiße Rosmarin mit sieben Prozent der Anlieferungsmenge vertreten. (Quelle: Südtiroler Obstbaumuseum, Lana). Der Weiße Winterkalvill machte Anfang des 20. Jahrhunderts dem König der Äpfel und dessen Namen seinen Platz streitig. Die Sorte Weißer Rosmarin erreicht einen mittleren Ertrag, da er zu Alternanz neigt. Er ist auch leicht für Vorerntefruchtfall anfällig, d. h., die Früchte werden zum Teil noch vor Erreichen der Pflückreife abgeworfen. Die Ernte erfolgt im Vergleich zur Standardsorte Golden Delicious bis zu zwei Wochen später und wird in den Tallagen zwischen Mitte und Ende September abgewickelt. Die Frucht vom Weißen Rosmarin ist mittelgroß, seine Form kugel- bis kegelförmig und hochgebaut, ähnlich einem Tropfen. Seine Grundfarbe ist grüngelb, die Deckfarbe bei Vollreife gelblich bis leicht rosa und marmoriert. Der Weiße Rosmarin hat ein ausgewogenes Zucker-Säure-Verhältnis und zeichnet sich durch eine hohe Fruchtfleischfestigkeit aus.
Das Gasthaus Lamm Mitterwirt in St. Martin in Passeier hat für das Projekt das Dessert Mohnknödel auf Vanillecreme und Sorbet vom Weißen Rosmarin kreiert: „Der Weiße Rosmarin hat ein sehr gutes säuerliches Aroma und eignet sich perfekt zum Verkochen. Er bringt eine gute Frische ins Gericht“, heißt es von der Familie Fontana vom Gasthof Lamm.

Drei Rezepte zum Nachkochen finden Sie ab Freitag in der Ausgabe 17 des „Südtiroler Landwirt“ vom 27. September ab Seite 23, online auf „meinSBB“ oder in der „Südtiroler Landwirt“-App.

Edmund Ebner, Versuchszentrum Laimburg

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